Im Ruag-Skandal verstecken sich die Bundesstellen hinter einer Mauer des Schweigens – doch diese hat Risse
Wir nicht, die anderen auch! Nach diesem Motto versuchen die in die Ruag-Affäre verwickelten Bundesstellen ihre Rolle im gescheiterten Deal um den Verkauf von 96 Panzern des Typs Leopard 1 kleinzureden. Offiziell hüllen sie sich in Schweigen: Bis die vom Verteidigungsdepartement angestossene Untersuchung der eidgenössischen Finanzkontrolle vorliege, dürfe und wolle man nichts sagen. Zur Erinnerung: Es geht um Panzer, welche die Ruag 2016 der italienischen Armee für 45’000 Euro pro Stück abkaufte. Seit Ausbruch des Ukrainekriegs ist die faktische Alteisensammlung plötzlich wieder begehrt – und sehr wertvoll.
Man könnte von einer Posse sprechen, wären ihre Auswirkungen nicht so dramatisch: Im Februar schliesst der bundeseigene Rüstungsbetrieb Ruag einen provisorischen Vertrag mit der deutschen Rheinmetall ab, angeblich am Verwaltungsrat und dem zuständigen Verteidigungsdepartement vorbei. 96 Panzer des Typs Leopard 1 sollen in Deutschland für den Ukrainekrieg aufgemöbelt werden.
Der Bundesrat stoppt den Handel im Juni mit Hinweis auf die Neutralität. Die Niederlande, die den Panzerdeal zugunsten der Ukraine finanzieren wollen, sind empört. Im niederländischen Parlament findet ein Antrag eine Mehrheit, die Schweizer Rüstungsindustrie künftig zu boykottieren.
Anfang August muss Ruag-Chefin Brigitte Beck den Posten räumen. Eine Woche später macht das Unternehmen publik, dass 25 der Panzer schon einmal verkauft worden waren: 2019 an eine deutsche Firma, die sie im italienischen Villesse nie abgeholt habe, aber jetzt einen Eigentümeranspruch erhebe. Zugleich schreibt die Ruag, dass in Deutschland gegen einen Ex-Mitarbeiter ermittelt werde. Recherchen dieser Zeitung zeigen: Es geht um Korruption.
Das Geld soll geflossen sein
Doch Fragen bleiben, insbesondere zum doppelten Verkauf der 25 Panzer: Wem gehören diese nun? Hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) oder sogar der Bundesrat den Deal damals bewilligt? Falls ja, unter welchen Bedingungen?
Es sind brisante Fragen mit weitreichenden politischen Implikationen. Die 25 Panzer seien 2019 tatsächlich bezahlt wurden, «das Geld ist geflossen», sagt eine Person, die das Dossier kennt. Nach herkömmlichem Verständnis gehören sie demnach der Käuferin.
Trotzdem schreibt die Ruag in einer Mitteilung: Es sei klar, «dass die entsprechenden Kampfpanzer gemäss der aktuellen Rechtslage nicht in die Ukraine geliefert werden dürfen». Doch auf welcher Rechtsgrundlage der Bundesrat den Export von Panzern nach Deutschland untersagen will, die in Italien stehen und höchstwahrscheinlich einer deutschen Firma gehören, ist nicht zu erfahren.
Gab es Bedingungen beim Verkauf 2019? Hinter vorgehaltener Hand heisst es, das Seco habe kein Gesuch erhalten für den Verkauf der 25 Panzer. Ob es aber informelle Kontakte zwischen der Ruag und dem Seco gab, das solche Geschäfte bewilligen muss, bleibt offen. Indizien legen nahe, dass dem so sein könnte.
Denn es war das Seco, das Anfang Jahr der Ruag zunächst signalisierte, dass der Verkauf der 96 Leopard 1 «aus rechtlicher Sicht machbar» sein sollte; erst später krebste das Amt zurück. Diesen Sachverhalt bestätigte am 14. August das Seco auf Anfrage dieser Zeitung: Der zuständige Beamte sei damals davon ausgegangen, «dass das Geschäft von einer Ausnahme in der Kriegsmaterialgesetzgebung profitieren würde und deshalb bewilligungsfrei abgewickelt werden könnte».
Diese Einschätzung soll sehr schnell erfolgt sein, innert etwa einer halben Stunde. Bei dem betreffenden Beamten handelt es sich um einen erfahrenen Juristen, der sich seit Jahren in leitender Funktion mit Rüstungsexporten befasst. Die rasche Antwort samt Hinweis auf eine Ausnahme in der Kriegsmaterialverordnung legt die Vermutung nahe, dass ihm die in Italien eingemotteten Panzer der Ruag bekannt waren. Möglicherweise wegen des Deals von 2019, der offenbar ohne Bewilligung über die Bühne ging.
Dies muss freilich Spekulation bleiben. Das Seco beantwortet keine Fragen mehr. Auch nicht, von welcher Ausnahme im Kriegsmaterialgesetz die Rede war, die das Seco selber vor wenigen Tagen noch erwähnt hatte.
Was wusste das Parlament?
Die Affäre stösst im Parlament auf Unverständnis und Kritik: «Es ist ein riesiges Chaos», sagte Kommissionspräsident Mauro Tuena (SVP/ZH) zu CH Media. Und FDP-Sicherheitspolitikerin Maja Riniker forderte eine «lückenlose Aufklärung».
Doch nun heisst es aus der Bundesverwaltung, das Parlament sei sehr wohl über die Korruptionsfälle der Ruag informiert worden. Namentlich die Finanz- und die Geschäftsprüfungskommissionen sowie die sicherheitspolitischen Kommissionen. Denn diese erhielten jährlich Berichte über die Erfüllung der strategischen Ziele der Ruag. Und zu diesen zähle auch die Korruptionsbekämpfung. So seien in den Berichten jeweils die Fälle aufgeführt, in denen interne oder externe Richtlinien nicht eingehalten worden seien. Auch der Fall, der nun in Deutschland strafrechtlich verfolgt werde, sei darin aufgeführt.
Mehrere angefragte Kommissionsmitglieder erklärten freilich auf Anfrage, von solchen Informationen wüssten sie nichts.