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Bilanz der kantonalen Wahlen 2024: Eine Partei räumt ab, eine feiert die Trendwende – und eine sackt richtiggehend ab

Seit den Nationalratswahlen 2023 bestellten sieben Kantone ihre Parlamente neu. Es zeichnet sich – gerade auch mit den Wahlen im bevölkerungsreichen Aargau – ein ziemlich klares Bild ab.

Martina Bircher (40) strahlt über beide Ohren. Andreas Glarner, der Präsident der SVP des Kantons Aargau, gratuliert ihr mit einem Blumenstrauss zur Wahl in den Regierungsrat. Bircher wird damit zur einzigen Regierungsrätin in der bisher rein männlichen Exekutive.

Hocherfreut über Birchers Wahl ist auch Marcel Dettling, der Präsident der nationalen SVP. Bircher ist für ihn ein Aushängeschild für die restriktive Asylpolitik der Partei. Als langjähriges Exekutivmitglied der Stadt Aarburg hat Bircher Alltagserfahrungen aus den Gemeinden eingebracht in Sachen Asyl. Bircher habe «immer wieder Missstände in der Asylpolitik aufgedeckt», sagt Dettling. «Sie hat aber auch aufgezeigt, wie sie gelöst werden können.»

Marcel Dettling ist der grosse Sieger dieses Wochenendes. Seine SVP legte im Grossrat des Kantons Aargau gleich um fünf auf 48 Sitze zu und steigerte ihren Wähleranteil von 30,3 auf 33,6 Prozent. Weil FDP und EDU ebenfalls zulegten, haben die rechten Parteien mit 73 von 140 Stimmen neuerdings sogar eine Mehrheit im Aargauer Parlament. Die SVP gewann aber auch im linken Kanton Basel-Stadt einen Sitz und erhöhte den Wähleranteil von 11 auf 13,6 Prozent – sie ist nun hinter der SP (29 Prozent) zweitstärkste Partei.

Insgesamt hat die SVP in diesem Jahr bei sechs von sieben kantonalen Wahlen abgeräumt und in den Parlamenten total 17 Sitze gewonnen (siehe Grafik). Besonders markant waren die Ergebnisse in den Kantonen Schwyz (38,3 Prozent und fünf Sitzgewinne) und St.Gallen (31,5 Prozent, sieben Sitzgewinne). Sie sorgt damit für einen Rechtsrutsch.


«Ich bin sehr erfreut über die bisherigen kantonalen Wahlergebnisse», sagt SVP-Präsident Dettling. «In den Kantonen Schaffhausen, St.Gallen und Schwyz hatten wir die historisch besten Ergebnisse.» Es zeige sich, dass Asylchaos und überbordende Zuwanderung die Bevölkerung «am stärksten» beschäftigten. «Sie schenkt uns das Vertrauen, dass wir diese Themen gradlinig und konsequent anpacken und Lösungen präsentieren.»

Politikberater Mark Balsiger sagt, die SVP sei «in Form». Sie habe «so viel Schwung wie im eidgenössischen Wahlherbst 2015, als die Flüchtlingskrise das wichtigste Thema war». Für ihn ist klar, dass Asylthema und Zuwanderung auch jetzt wieder sehr viele Leute umtreiben. «Das zeigt sich auch in den Nachbarstaaten», sagt er. «Die FPÖ wurde in Österreich stärkste Partei, und die AfD legte in drei deutschen Bundesländern massiv zu.» Dazu kommt, dass die Europäische Union ihre Asylpolitik aktuell massiv verschärfen will.

Die Grünen reagieren mit einer Verschärfung der Politik


Gegenpol der SVP sind die Grünen. 2019 waren sie noch grosse Sieger der Nationalratswahlen. Sie legten damals national um 6,1 Prozentpunkte zu. Bei den Wahlen 2023 verloren sie wieder 3,4 Prozentpunkte. Der Kriechgang geht weiter: Bei den sieben kantonalen Wahlen in diesem Jahr büssten sie elf Sitze ein.

Im Aargau erlitten die Grünen einen Einbruch. Sie verloren fast einen Drittel ihrer Sitze, verfügen nur noch über zehn statt über 14 Sitze. Im Kanton Basel-Stadt traten Grüne und Basta erstmals nicht auf einer gemeinsamen Liste an, weshalb kein Vergleich möglich ist mit den kantonalen Wahlen von 2020.

Gerade das Ergebnis im Aargau sei «bitter» für die Grünen, sagt Politikberater Balsiger. «2020 gewannen sie im Aargau 3,9 Prozentpunkte, jetzt verlieren sie wieder 2,6. Das ist der für diese Partei typische Jo-Jo-Effekt.» Balsiger folgert: «Die Grünen sind ratlos, gerade auch, weil das Klimathema so drängend ist wie eh und je. Es hat sich aber in der Bevölkerung abgenutzt.» Das zeige sich daran, dass viele Leute den Ärger über Klimakleber höher gewichteten als die Gefahr des Klimawandels.

Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone will stärker Klartext sprechen.
Bild: Claudio Thoma

Die Grünen selbst wollen mit einer Verschärfung ihrer Politik reagieren.«Im Moment erleben wir in Bundesrat und Parlament eine rechte Machtdemonstration», sagte Präsidentin Lisa Mazzone in der «Schweiz am Wochenende».Sie kündigte eine «Referendumslegislatur» an: «Es ist Zeit, Klartext zu sprechen. Und laut zu sein. Man darf keine Angst haben anzuecken.»

Ist dem Freisinn eine Trendwende gelungen?


Interessant sind die Ergebnisse der FDP. Die Partei verlor die ersten vier kantonalen Wahlen unisono. Doch am 22. September kam es in Schaffhausen zu einem ersten Lichtblick: Die FDP legte um 1,6 Prozentpunkte zu und gewann einen Sitz. Ein Trend, der sich im Aargau fortsetzte. Da kam die FDP von 14,7 auf 15,4 Wählerprozente und gewann einen Sitz. Im Kanton Basel-Stadt verlor die FDP immerhin keinen Sitz, obwohl sie beim Wähleranteil 0,5 Prozentpunkte einbüsste.

Da das Bundesamt für Statistik national die Ergebnisse von FDP und LDP zusammenzählt, verlor die FDP in Basel-Stadt aber doch zwei Sitze – wegen der Liberal-Demokratische Partei.

«Die FDP hat den Tritt bei den bisherigen kantonalen Wahlen noch nicht gefunden. Das machte die Basis nervös», sagt Politikberater Balsiger. Umso beruhigender sei das Ergebnis im Aargau. «Optimistisch betrachtet könnte man dies als Trendwende bezeichnen», sagt er. «Die Wahlen im Aargau haben Signalwirkung, weil dieser Kanton die Schweiz parteipolitisch im Kleinen darstellt.»

Für FDP-Präsident Thierry Burkart ist es wichtig, dass seine Partei im Aargau zulegt – denn das ist seine Heimbasis, von der er sich für den Umbau der nationalen FDP inspirieren lässt.
Bild: Keystone

Der Erfolg im Aargau ist für FDP-Präsident Thierry Burkart besonders wichtig, weil die Aargauer FDP seine Heimbasis ist. Aus ihr zieht er verschiedene Rezepte für den Umbau des nationalen Freisinns. Zum Beispiel die klare Verschärfung des Asylkurses. Die FDP hat an ihrer Delegiertenversammlung vom Samstag beschlossen, den Kampf gegen die illegale Migration auszuweiten. Die FDP will gezielte Grenzkontrollen und beschränkten Familiennachzug. Zudem sollen abgewiesene Asylbewerber zurückgeführt werden. Auch will der Freisinn jenen Staaten die Entwicklungshilfe streichen, die ihre Landsleute nicht zurücknehmen.

Mitte, SP und EVP bleiben stabil

Zu den Verlierern bei den kantonalen Wahlen 2024 gehören auch die Grünliberalen. Sie büssen vier Parlamentssitze ein. Drei Parteien hingegen bleiben stabil: SP, Mitte und EVP. Alle drei Parteien legten weder zu noch verloren sie.