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Keine Frau? Der Nobelpreis muss reformiert werden – eine Analyse

Das Nobelpreis-Komitee gefährdet mit kurzsichtigen Entscheidungen die Reputation des wichtigsten Wissenschaftspreises. Es braucht eine Reform im Sinne des Gründers.

Ausschliesslich Männer haben dieses Jahr einen der begehrten Nobelpreise in Physik, Chemie und Medizin erhalten. Das schwedische Prämierungskomitee stellt sich damit auf den Standpunkt, dass es auf dem Planeten keine einzige Naturwissenschafterin gibt, deren Forschung im letzten Jahr so exzellent war, dass sie die höchste Auszeichnung der Wissenschaft verdient hätte. Doch kann das wirklich sein?

Statistisch ist der Fall klar: Frauen machen in Biologie und Medizin in den OECD-Ländern etwa die Hälfte oder in manchen Ländern sogar eine Mehrheit der Arbeitskräfte aus. Laut dem neusten Gender-Equality-Bericht der Vereinten Nationen ist heute selbst in den technischen Forschungsdisziplinen jede dritte Arbeitskraft eine Frau. Demnach müssten dieses Jahr mindestens zwei von sieben Naturwissenschafts-Ausgezeichneten Frauen sein.

Das Nobelpreiskomitee um Generalsekretär Göran Hansson verteidigt seine frauenlose Auswahl mit der Argumentation, dass jeweils die herausragendste Forschung unabhängig von einer Geschlechterquote gewinne. Die niedrige Zahl der Nobelpreisträgerinnen – es sind etwa 64 Frauen, oder 6 Prozent der Ausgezeichneten – sei ein gesellschaftliches Problem, wofür das Komitee nichts könne.

Doch damit versuchen sich die Entscheidungsträger herauszureden. Der Nobelpreis wurde in den letzten Jahrzehnten nämlich praktisch nie an die gegenwärtig mit Abstand herausragendste Forschungsarbeit vergeben – weil kaum aktuelle Arbeiten ausgezeichnet werden. Ausnahmen wie im vergangenen Jahr, als mit dem Nobelpreis für Medizin die Forschung anmRNA-Impfstoffen gewürdigt wurde, die den Grundstein für die Entwicklung der Corona-Impfstoffe legte, bleiben selten (gewonnen hat den übrigens ein Team aus Frau und Mann).

Ohne die Berücksichtigung von Aktualität ist eine faire, objektiv nachvollziehbare Auswahl aber kaum möglich: Man kann den generellen Wert der Neandertalerforschung eines Svente Pääbo nicht mit der Krebstherapie eines James P. Allison vergleichen. Übrig bleibt also nur die Präferenz des Komitees, die meistens bei Arbeiten liegt, deren Publikation lange zurückliegt und die längst zu Lehrbuchkapiteln geworden sind.

Doch wenn der Preis nicht nach klar quantifizierbarer Leistung vergeben wird, sondern nach dem persönlichen Geschmack eines Komitees, dann ist es ein valides Anliegen, dass man im Jahr 2024 auf ein einigermassen faires Geschlechterverhältnis schaut.

Das Nobelpreiskomitee nutzt seinen Preis heute aber vielmehr, um Wissenschaftspolitik zu betreiben. Aus einem Pool von guten Arbeiten wird ein Thema gewählt, das das Komitee pushen will und das nach der Prämierung an Universitäten weltweit mehr Forschungsgelder und Aufmerksamkeit erhält.

Das ist nicht, was Alfred Nobel mit seiner Stiftung im Sinne hatte. Er sprach sich für die besten Arbeiten des vergangenen Jahres aus. Auch hatte er vor über 100 Jahren keine Limite für die Anzahl Preisträger festgesetzt – das taten erst die Verwalter seiner Stiftung posthum 1968, als sie beschlossen, dass der Preis maximal an drei Gewinner gehen darf, um die Exklusivität des Preises zu stärken.

Wie die Prämierung eines einzigen Geschlechts ist das heute allerdings nicht mehr zeitgemäss. Es gibt keine 3-Köpfe-Teams mehr, welche Forschung alleine voranbringen – der wissenschaftliche Betrieb ist dafür zu interdisziplinär geworden. Es ist deshalb an der Zeit, dass die Regeln zur Preisvergabe im Sinne von Alfred Nobel modernisiert werden und dass bei dieser Art von Prämierung Frauen nicht mehr aussen vor gelassen werden. Sonst verliert der Nobelpreis seinen Stellenwert und die Wissenschaft ihr wichtigstes Zugpferd, um einmal im Jahr Schlagzeilen zu machen und das Interesse der Menschen für sie zu wecken.