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Plastikdeckel im Gesicht? Es gibt einen Trick, damit Sie sich weniger ärgern

Dass PET-Flaschen-Deckel nicht mehr abnehmbar sind, macht gerade halb Europa verrückt. Hat es die EU mal wieder übertrieben? Oder stecken da eigentlich sinnvolle Überlegungen dahinter?

Auf Google trendet gerade «Lass mich drank-deckel nervig» und «Tethered Caps Schwachsinn». Denn seit dem 3. Juli müssen in der EU alle Getränkeflaschen einen Deckel haben, der sich nicht abreissen lässt. Der Beschluss wurde schon 2019 gefallen und viel wurde seither über die «Deckel im Gesicht» geschrieben. Als unsinnigstes Gesetz im Kampf gegen die Plastikverschmutzung wird es gerne bezeichnet. Die Schweizerinnen und Schweizer nerven sich besonders, weil diese «Tethered Caps», also die angebundenen Deckel, hier eigentlich nur eine Empfehlung wären.

Doch die Schweiz ist mal wieder zu klein, um ein Sonderprogramm zu fahren. Selbst die Flaschen von Schweizer Getränkeherstellern haben solche Deckel, weil sie wie Rivella auch ins Ausland exportieren oder weil bald schlicht keine anderen Deckel mehr hergestellt werden. Und dies, obwohl einer der weltweit grössten Hersteller von Plastikdeckeln, Corvaglia, seinen Sitz im Thurgauischen Eschlikon hat. Doch eine separate Produktion für die Schweiz lohnt sich nicht.

Und so werden sich auch Herr und Frau Schweizer mit dem Deckel abfinden müssen. Doch die PET-Flaschen-Deckel müssen gar nicht stören: Analog zur Bierflasche mit Bügel lässt sich der Deckel nämlich meist so auf die andere Seite der Öffnung rüber und nach unten klappen, sodass er nicht mehr stört. Und an dieser Stelle bleibt er dann auch – im Unterschied zum Bierbügel, der einem mit etwas Promille im Blut auch mal ins Gesicht klappt.

Vom neuen EU-Gesetz sind auch Tetrapackungen betroffen. Hier aber macht zumindest die Migros eine Ausnahme: Während sie all ihre PET-Flaschen mangels Alternativen mit Tethered Caps ausrüsten muss, kommt die Umstellung bei den selbst produzierten Tetrapackungen noch nicht. Auch die Getränkekartons von Emmi sind bis jetzt selten mit angehängten Deckeln versehen. Weitere Umstellungen sind laut Emmi nicht geplant. Weil Emmi Caffè Latte exportiert, ist aber die 650-ml-Flasche mit einem Tethered Cap versehen.

Wenig Auswirkung auf die Umwelt

Doch die Frage bleibt: Was nützt die Änderung der Umwelt tatsächlich? Dass die Regelung sogar mehr Plastik für die Deckel benötige, wie der Beratungskonzern PWC 2018 prognostizierte, hat sich inzwischen als Irrtum herausgestellt. Bei Corvaglia ist das laut dem «Tages-Anzeiger» jedenfalls nicht so.

Wie gross der Anteil an PET-Flaschen-Deckeln unter allem Plastikabfall an Europas Stränden ist, wurde bisher offenbar nicht erhoben. Ohnehin wären da noch diverse andere Flaschen ohne Fixierung: Waschmittel, Ölflaschen oder die Beutel, aus denen Kleinkinder Obstbrei saugen.

Die deutsche Zeitung «TAZ» schrieb kürzlich, die fixierten Deckel seien eine Insellösung, die nur die Konsumenten verärgern würde. Eine solche halbgare Lösung bringe ausserdem den Umweltschutz als Ganzes in Misskredit – und die EU gleich mit.

Tatsächlich erinnert die Deckel-Regelung an Pflästerli-Politik. Aber es ist nur einer von vielen Versuchen, um in Europa den Plastikverbrauch zu reduzieren. Vor drei Jahren hat die EU Plastikröhrchen, Rührstäbchen, Einweggeschirr und Luftballonstäbe verboten. Ob das alles in der Summe schon Auswirkungen hat, ist noch nicht bewiesen – neue Zahlen sind nicht verfügbar.

Was ist mit Lebensmittelverpackungen?

Doch was ist mit dem viel grösseren Plastikanteil in den Lebensmittel-Verpackungen, insbesondere Take-away- und Convenience-Food? Die EU will alle Verpackungen bis 2030 recyclingfähig machen. Zwar sind die Recyclingquoten in der EU gestiegen, doch das reicht nirgends hin: Der Abfall hat in den letzten zehn Jahrenum mehr als 20 Prozent zugenommen, insbesondere wegen Einwegverpackungen. Die EU-Kommission rechnet damit, dass es ohne Massnahmen bis 2030 um 46 Prozent mehr Plastikabfall gäbe.

Wenn die Verpackungen künftig alle recycelbar sind, weil sie zum Beispiel aus PET sind oder unbeschichtetem Karton, dann hofft die EU-Kommission, dass sich die Recyclingquote von 66,5 Prozent (2018) auf 73 Prozent im Jahr 2030 erhöhen lässt.

So soll der Abfalltrend gestoppt und umgekehrt werden: Bis 2040 soll sich in jedem EU-Mitgliedstaat die Pro-Kopf-Abfallmenge um 15 Prozent reduzieren. Im Durchschnitt fallen in Europa fast 180 kg Verpackungsmüll pro Kopf und Jahr an.

Aber nicht nur Recycling, vor allem der vermehrte Einsatz von Mehrwegbehältnissen hätte einen grossen Effekt auf die Abfallberge. Die EU hat ein Gesetz erlassen, aufgrund dessen bis 2030 etwa 20 Prozent aller Getränke in Mehrwegbecher abgefüllt werden müssen. 80 Prozent sollen es 2040 sein.

Gerade bei Kaffee to go würde das bedeuten, dass der leere Becher selbst wiederverwertet oder in eine Sammelstation gebracht werden muss. Bierhändler ihrerseits müssen bis 2040 25 Prozent ihrer Flaschen als Mehrweggut verkaufen. Glasflaschen ins Recycling zu bringen, zählt nicht dazu: Gemeint sind Pfandflaschen, die nur neu etikettiert, nicht aber eingeschmolzen werden.

Auch bei Take-away-Verpackungen existiert ein solches Absenkpfad: 2040 sollen 40 Prozent Mehrwegbehältnisse sein. Und die Hälfte aller Transportverpackungen im Online-Handel soll bis dahin wiederverwendbar sein.

Die Länder müssen wieder Pfandsysteme einführen

In Deutschland, wo es bereits ein gut funktionierendes Pfandsystem gibt, hat man sich über die Plastik-Deckelregelung besonders aufgeregt. So fehlen laut einer Erhebung der Gesellschaft für Verpackungsmarktfoschung GVM die Deckel nur bei 9 Prozent aller bepfandeten Einwegflaschen, bei unbepfandeten sind es 15 Prozent.

Das Ziel des WWF wird wohl trotzdem nicht erreicht: Spätestens ab dem Jahr 2030 soll an den Mittelmeerküsten kein einziges Plastikteil mehr in der Umwelt landen. Den dieFolgen für die Umweltseien schlimm: In einem Magen eines an der italienischen Küste angespülten Pottwals habe man 2019 22 Kilo Plastikmüll gefunden. Schildkröten erstickten in Resten von Fischernetzen und Seevögel verhungerten, weil ihr Verdauungssystem mit Plastikteilen verstopft sei.

Für Leute, die sich mit dem Deckel partout nicht anfreunden können, gibt es übrigens eine Lösung, die allen dient: Getränke in eigenen, schön designten Mehrwegflaschen mitnehmen. Da hat man auch den Zuckerzusatz besser im Griff. Langlebig sind Edelstahlflaschen wie von FLSK oder Klean Kanteen. Gerade besonders angesagt ist der Stanley Cup aus Kunststoff mit integriertem Trinkhalm.

Schauspielerin Olivia Wilde vor ein paar Tagen mit ihrem Mehrwegbecher in Los Angeles.
Bild: Getty