Was haben Silvio Berlusconi, Boris Johnson und Emmanuel Macron gemeinsam? Sie alle sind auf Tiktok anzutreffen
In Italien ist Wahlkampf. Am 25. September findet die Parlamentswahl statt. Mit der Forza Italia ist auch ihr Parteichef Silvio Berlusconi wieder mit von der Partie. Der ehemalige italienische Ministerpräsident und Medienmogul (Mediaset) will nun auch seine jüngsten Wählerinnen und Wähler erreichen: Seit Anfang September unterhält er seinen eigenen Tiktok-Account.
Tiktok ist ein populäres soziales Netzwerk für selbstgedrehte Videos mit mehr als einer Milliarde Nutzer weltweit. Die Plattform gehört zum chinesischen Tech-Unternehmen Bytedance. Unterdessen sehen Politiker aus aller Welt die Vorteile des Aufbaus eines Publikums auf Tiktok.
In seinem ersten Beitrag sagt Berlusconi: «Wir werden über eure Zukunft sprechen und diskutieren. Ich werde euch sagen, wie wir Italien gestalten wollen, ein Land, das euch die Chance bietet, eure Träume wahr werden zu lassen. Bis bald auf TikTok!» In seinem zweiten Beitrag erörtert Berlusconi, dass er Witze als therapeutisch ansieht und dass die App seiner Meinung nach eigentlich «Tik Tok Tak» hätte heissen sollen. Nach einer knappen Woche auf der Plattform folgen Berlusconi bereits fast eine halbe Million Nutzerinnen und Nutzer.
Rudern oder mit dem Hund davonrennen
Berlusconi ist nicht der erste weltweit bekannte Politiker, der auf die Idee mit Tiktok kommt. Auch der ehemalige britische Premier Boris Johnson trat ab Mai 2022 auf der Plattform mit seiner Wählerschaft in Kontakt. Unter dem Accountnamen «10downingstreet» scharte er fast 300’000 Follower um sich. Auch Johnson setzt auf Nähe. Zum Beispiel beim rudern mit der schwedischen Ministerpräsidentin zu lauschiger Gitarrenmusik.
Neben zahlreichen englischen Parlamentariern, die es Johnson gleichtaten, zeigt auch der Blick nach Frankreich, dass sich Tiktok in der Politik auf dem aufsteigenden Ast befindet. Bereits seit Juli 2020 erreicht Präsident Emmanuel Macrons Account mehr als drei Millionen Menschen. Andere Beispiele für Tiktok-affine Politiker sind Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum, Premierminister der Vereinigten Arabischen Emirate, oder der ehemalige israelische Premier Benjamin Netanyahu.
Die meisten erfolgreichen Politiker auf Tiktok zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit Witz an politische Themen herangehen – und dabei nicht vergessen, ihre weitaus ernstere Botschaft trotzdem zu platzieren. So wie zum Beispiel der ehemalige deutsche FDP-Bundestagsabgeordnete Thomas Sattelberger (72) im nachfolgenden Video.
Sattelberger erreicht mit seinen Videos auf Tiktok Millionen Menschen. Genauso tut es auch sein Parteikollege Wolfgang Heubisch (76), Vizepräsident des bayrischen Landtags – oder der CDU-Bundestagsabgeordnete Uwe Dorfendorf, der genau wie Sattelberger auch gerne mal Witze über die Grünen macht.
Auch Dorendorfer weiss die Plattform zu nutzen – unter anderem half er Hendrik Wüst, dem heutigen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, auf Tiktok beim Wahlkampf:
TikTok versteht sich selbst als «Joy and Fun»-Plattform, deshalb ist klassische Wahlwerbung, also bezahlte Werbeposts, die dann zielgruppenorientiert an bestimmte Nutzerinnen und Nutzer ausgespielt werden, verboten. Dennoch ist TikTok auch eine politische Plattform – oder zu einer geworden, wie die zahlreichen Accounts von Politikern aufzeigen.
Politiker «versuchen, überall dort Präsenz zu zeigen und Fuss zu fassen, wo die Menschen als nächstes hingehen», sagte Thad Kousser, Politikwissenschaftsprofessor an der UC San Diego der Los Angeles Times. «Darum geht es bei TikTok heute wirklich. Die Wette ist, dass die Wähler und Spender der nächsten fünf bis zehn Jahre Menschen sind, die es als bevorzugtes soziales Medium nutzen werden.»
Grosse Manipulationsgefahr
Auch in Deutschland zeigen sich Experten überzeugt, dass wenn Erstwähler erreicht werden sollten, kein Weg an Tiktok vorbeiführt. Die Kommunikation auf Tiktok ist aufgrund der Kommentarfunktion direkt im jeweiligen Video viel interaktiver als bei anderen sozialen Netzwerken. Dabei gibt es jedoch auch Gefahren, wie der deutsche Politikberater Martin Fuchs unlängst zu Bedenken gab. Da es sich um eine junge Plattform handle und viele User in ihrer Meinungsbildung noch nicht so gefestigt seien, stelle das eine grosse Manipulationsgefahr dar.
Ein Beispiel dafür ist die rechtspopulistische Partei AfD, deren Tiktok-Kanal im Mai 2022 zwar gelöscht wurde, deren Inhalte sich aber trotzdem auf der Plattform weiterverbreiten. Keine deutsche Partei nutzt Tiktok intensiver als die AfD. Mehr als ein Drittel der 80 Bundestagsabgeordneten ist mit einem eigenen Account vertreten. Zum Vergleich: Bei der SPD wird Tiktok nicht einmal von jedem zehnten Abgeordneten genutzt.
Die Abrufzahlen der AfD-Videos gehen regelmässig in die Millionen, die Transparenz hinter den Accounts bleibt gleichzeitig mangelhaft. Oft wird für die Nutzer nicht deutlich, dass es sich bei den Konten um AfD-Accounts handelt. Vermehrt fehlt innerhalb der Kanalprofile ein Hinweis auf Partei und Funktion.