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Ein neues Buch leuchtet die Politikfinanzierung aus – mit überraschenden Erkenntnissen

Linksgrüne NGOs haben an finanzieller Schlagkraft zugelegt, Privatpersonen zahlten im Wahljahr 2019 fast 70 Millionen Franken an Parteien, Politakteure und -kampagnen: Zu diesen Schlüssen kommt das neue Buch «Wer finanziert die Schweizer Politik?».

Es ist ein gut gehütetes Geheimnis, das zunehmend unter Druck gerät: Wie viel Geld fliesst in der Politik, wer zahlt – und wer erhält es? Die Verschwiegenheit hat Tradition, die Kritik daran ist alt. Doch in den letzten Jahren hat der Wind gedreht, Transparenzvorschriften wurden salon- und mehrheitsfähig.

Zwei Autoren mit Insiderwissen versuchen im neuen Buch «Wer finanziert die Schweizer Politik?» nun Licht ins Dunkel zu bringen. Geschrieben haben es Peter Buomberger, ehemaliger Chefökonom der UBS und Verantwortlicher für die Politikfinanzierung bei zwei grossen Finanzunternehmen, sowie Daniel Piazza, der von 2013 bis 2016 Geschäftsführer sowie Finanzchef der CVP Schweiz war.

Die beiden Autoren zeigen die politischen Finanzierungsströme auf nationaler Ebene auf. Das ist naturgemäss keine exakte Wissenschaft: Da viele Angaben nicht öffentlich sind, haben sie diese gestützt auf Expertenmeinungen geschätzt. Zeitweise schimmert zudem durch, dass die Autoren eine gewisse Schlagseite haben: Staatliche Parteienfinanzierung ist für sie des Teufels. Das Buch hält aber einige interessante Erkenntnisse bereit.

«Wer finanziert die Schweizer Politik?»

1. Das «finanzielle Rückgrat» der Schweizer Politik

Im Wahljahr 2019 wurden laut den Autoren insgesamt rund 100 Millionen Franken an Parteien, Politakteure und -kampagnen bezahlt. Fast 70 Millionen stammten von Privatpersonen (im Nichtwahljahr 2020 waren es 36 bis 37 Millionen). Die Unternehmen steuerten 2019 geschätzt 22 bis 24 Millionen bei. Die staatlichen Fraktionsbeiträge machten weniger als zehn Prozent aus.

Das Fazit der Autoren: «Nicht, wie oft angenommen, die Unternehmen, sondern die Bürgerinnen und Bürger bilden das eigentliche Rückgrat der Schweizer Politikfinanzierung.»

2. Woher die Parteien ihr Geld haben

Die Beiträge der Unternehmen sind trotzdem eine wichtige Geldquelle – besonders für die bürgerlichen Parteien. Gut ein Drittel ihres Budgets stammte 2020 von Unternehmen, von Privatpersonen 27 Prozent. Linksgrüne Parteien hingegen finanzieren sich zu 71 Prozent von Privatpersonen (wobei die Autoren auch die Mandatsbeiträge hierzu zählen, die beispielsweise Nationalräte an ihre Partei abgeben). Die staatlichen Fraktionsbeiträge machen bei sämtlichen Parteien knapp einen Viertel aus.

3. Potente Verbände und NGO, «arme »Parteien

Alle Politakteure zusammen hatten 2019 ein Politbudget von geschätzten 62 bis 65 Millionen Franken. Rund ein Drittel davon entfällt auf die Bundesparteien; zwei Drittel auf Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Wirtschafts- und Branchenverbände. Die Parteien haben insgesamt also deutlich weniger Geld zur Verfügung als Organisationen wie Gewerkschaften, Greenpeace, Economiesuisse und Versicherungsverband zusammen. Sie seien «relativ schwach dotiert», schreiben die Autoren.


4. Die neue Schlagkraft der NGOs

Entgegen dem Klischee sind linksgrüne NGOs inklusive Gewerkschaften laut den Autoren finanzstärker als bürgerliche Wirtschafts- und Branchenverbände. Einschränkend muss man anfügen, dass Buomberger und Piazza die Jahre 2019 und 2020 untersuchten, in denen mehrere Abstimmungen anstanden, bei denen sich die NGOs stark engagierten, allen voran die Konzernverantwortungsinitiative. Unbestritten dürfte aber sein, dass die politische und finanzielle Stärke von linksgrünen NGOs in den letzten Jahren gewachsen ist.

Ein möglicher Grund ist laut den Autoren, dass «das Ad-hoc- und Pop-up-Setting insbesondere neuer NGOs aller Art für immer mehr Menschen attraktiver geworden ist als traditionelle Parteimitgliedschaften». Zudem hätten diese neuen NGOs die Digitalisierung in ihrer DNA.

5. Neue Politakteure – und das Problem

Neben den klassischen NGOs und Wirtschaftsverbänden sprossen in letzter Zeit neue Akteure aus dem Boden, die sich nur einem bestimmten Thema widmen – beispielsweise autonomiesuisse oder Kompass/Europa. Die Autoren sprechen von «Pop-up-Wirtschaftskomitees». Aus ihrer Sicht kann das problematisch sein, da dadurch den etablierten Verbänden und Parteien Geld entzogen wird: «Die Grundfinanzierung tragender Politakteure der Schweizer Politik wird so geschwächt.»

Kommt hinzu, dass neuere Politakteure wie etwa Operation Libero erfolgreich auf Crowdfunding – also das Sammeln vieler kleiner Spenden online – setzen. Auch hier drohen die klassischen Akteure ins Hintertreffen zu geraten.

6. Wahlen verschlingen Dutzende Millionen

Für ihre Wahlkampagnen wendeten die Parteien 2019 insgesamt rund 11 bis 12 Millionen Franken, fast ausschliesslich aus der eigenen Kasse. Teuer sind aber insbesondere die Kampagnen der Kandidatinnen und Kandidaten mit 47 bis 48 Millionen Franken; der grösste Teil davon stammt von Privatpersonen. Rund 40 Millionen Franken verschlangen die Abstimmungskampagnen.

Ein «Plakatwald» im Thurgau.

7. Mehr Transparenz? Möglicherweise eine Sackgasse

Als Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative hat das Parlament letzten Sommer neue Offenlegungsregeln beschlossen. Unter anderem müssen Spenden ab 15’000 Franken an Parteien sowie Politikerinnen und Politiker künftig offengelegt werden. Die beiden Autoren kritisieren, dieser Weg führe «möglicherweise in eine Sackgasse». Da NGOs und Verbände an weniger Offenlegungspflichten gebunden sind als die Parteien, könnten traditionelle Politakteure künftig weniger Geld erhalten, befürchten sie.

Die Autoren plädieren für ein anderes Konzept. Eine Partei oder ein Komitee soll nur dann den Spender offenlegen müssen, wenn dessen Spende einen relevanten Anteil am Budget ausmacht. Die Idee dahinter: Bezahlt jemand 15’000 Franken an einen Akteur mit einem Budget von 50’000 Franken, so ist diese Information für die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger relevant. Geht dieselbe Summe aber an einen Akteur mit Millionen-Budget, ist die Transparenz unnötig.

Für die politische Debatte kommt dieser Vorschlag zu spät. Die neuen Regeln sollen im Herbst in Kraft treten – pünktlich aufs Wahljahr 2023 hin – und ihrerseits etwas Licht ins Dunkle bringen.

Zum Schluss: Eine Anekdote aus den «guten alten Zeiten»

Früher sei es einfacher gewesen, vor allem Spenden von Unternehmen zu generieren, schreiben die Autoren. Das zeigte sich etwa bei der Gründung des liberalen Thinktanks Avenir Suisse: «Als der Entscheid zur Gründung (…) gefallen war, setzten sich der damalige Verwaltungsratspräsident der UBS und sein Chefökonom ans Telefon, um die notwendigen Gelder zusammenzubringen. Innerhalb einer Woche war das anvisierte Startkapital von mehreren Millionen beisammen. Kurz darauf trafen sich Vertreter der sechs Unternehmungen, die je einen Millionenbetrag zugesagt hatten, zu einem Nachtessen und Avenir Suisse war geboren.»