Luzerner Mundart-Band Hecht veröffentlicht «Hecht For Life»: Die Platte lebt von ansteckender Energie
Ist der Mount Everest einmal bestiegen, hat der Bergsteiger neben all den Glücksgefühlen ein Problem: Er hat den höchsten Berg der Welt erklommen. Höher geht es nicht mehr. Im Schweizer Pop heisst der Mount Everest Hallenstadion Zürich. Wo sonst Weltstars spielen, verirren sich Schweizer Musikerinnen und Musiker nur äusserst selten auf die Bühne. Mit einem Fassungsvermögen von über 12’000 Personen ist es oft schlicht zu gross für einheimische Acts. Trotzdem geschafft haben es etwa Gölä, Trauffer und: Hecht.
Die Luzerner-Zürcher Band hat die Multifunktionsarena Ende 2019 gefüllt. 170 Minuten Powerplay und begeisterte Fans. Jetzt erscheint «Hecht For Life» – Album 1 nach der Besteigung des Schweizer Pop-Everest. Was wollen die Hechte nun noch erreichen? Stefan Buck muss gar nicht lange überlegen: «So ein Konzert in einem Fussballstadion. Etwa auf der Luzerner Allmend. Das wäre schon noch was. Träumen dürfen wir ja noch.» Er lacht.
Die erfolgreichste Band der Stunde
«Aber ganz im Ernst: Wir sind schon froh, wenn wir wieder am Erfolg von vor Corona anknüpfen können», sagt Buck. Der Sänger von Hecht beherrscht Grössenwahn und Demut gleichermassen. «Ich glaube schon, dass wir uns ambitionierte Ziele setzen müssen, das treibt an», sagt der 41-Jährige. Und fügt gleich hinzu «Vielleicht wird uns das in ein paar Jahren um die Ohren gehauen: ‹Die wollten ein Fussballstadion füllen, und jetzt sind nicht einmal mehr die kleinen Clubs ausverkauft›.» Buck lacht wieder.
Das ist derzeit kein Problem. Schon bevor die Platte am Freitag erscheint, ist die Clubtour ratzeputz ausverkauft. Oft innerhalb weniger Tage, teils gar innert weniger Stunden. Nur für den Everest Hallenstadion im November und ein paar erst ganz frisch angekündigte Konzerte gibt es noch Tickets. Hecht ist ohne jeden Zweifel die aktuell erfolgreichste Schweizer Band. Eine Top-Platzierung in den Charts ist ebenso absehbar wie ein neuerlich volles Hallenstadion.
Wer derart erfolgsverwöhnt ist, der läuft Gefahr satt und bequem zu werden. «Wir haben uns ganz bewusst nicht ausgeruht und wollten nicht einfach dasselbe noch einmal machen», sagt Buck. Auf «Hecht For Life» ist das Quintett verspielter und auch mutiger – ohne dabei aber die bewährte Hecht-Formel zu verlassen. Beinahe jede Note und jede Zeile schreit nach Mithüpfen in einem vollen Club. Jetzt auch mal mit Stimmeffekten, Samples und insgesamt etwas moderner als die drei bisherigen Alben.
Der Feinschliff ist noch frisch
Vier Jahre sind mittlerweile seit dem Vorgänger «Oh Boy» vergangen. Da liegt der Verdacht nahe, dass die neue Scheibe lange fertig in der Schublade lag und gewartet wurde, bis Corona seinen Schrecken verlor und Konzerte auch in einem grösseren Rahmen wieder möglich werden. Buck winkt ab:
«Wir haben bis vor kurzem an der Platte rumgebastelt.»
Mit dem Songwriting habe er zwar bereits kurz nach dem letzten Hallenstadion-Gig begonnen, der Feinschliff an den Liedern sei aber noch frisch, versichert er.
Einen Einfluss hatte die Corona-Pandemie aber doch:« Es hat einige Texte, die etwas nachdenklicher sind und sich auch um den Wert der Nächsten drehen.» Nicht nur euphoriebesoffene Mithüpfmusik. In «Liebesbewiis» lässt Stefan Buck etwa doppelt die Hosen runter. Er besingt, nur sehr spärlich begleitet, seine Selbstzweifel. «Ech be im Wind am wanke und mach mech fertig mit de eigete Gedanke». Die Stimme weit im Vordergrund, offenbart dies eine gehörige Portion Verletzlichkeit. «Ech be am Läbe, mer sind am Läbe, das esch doch huere vill.»
Auch sonst sind der Tod und der Verlust präsenter als auch schon. Hecht geben sich selbstironisch, hadernd und bleiben am Ende doch irgendwie grundoptimistisch. Feel-Good-Musik. Mal für die Beine, mal für die Seele. «Nimm mech i Arm» berichtet von den Aufs und Abs einer Beziehung, «Liebe & e Beat» thematisiert die eigene Vergänglichkeit und «Schmuse» ironisiert das Nicht-Voneinanderlassen-Können. Jedermann- und Jederfrau-Themen.
Getragen von der Energie
Die Diversität der Songs hilft, dass sich die Platte nicht erschöpft. In den stärkeren Momenten erinnern Hecht an Coldplay, als diese noch gut waren. Getragen wird die Musik von der Energie, die sie vermittelt. Das ist nicht immer wahnsinnig originell oder kreativ, aber ansteckend. Und es füllt das Hallenstadion. Vielleicht kann das Erlebnis Mount Everest nicht getoppt werden, aber die allermeisten kommen gar nicht erst so weit nach oben.