Sie stülpt ihr Seelenleben nach aussen: So klingt die neue Platte von Kings Elliot
Wie gehts? Immer wieder «Wie geht’s?» Kaum ein Gespräch, in dem wir das Gegenüber nicht fragen, wie es denn um seine Befindlichkeit stehe. Eigentlich immer geht es «gut». Und mindestens meistens stellen wir die Frage aus einer floskelhaften Höflichkeit. Wir fragen, dass gefragt ist und uns interessiert die Antwort höchstens am Rande.
Kings Elliot geht es ebenfalls «gut», wie sie am Telefon versichert. Und hier hat uns die Antwort wirklich interessiert. Anja Gmür, aufgewachsen im Kanton Schwyz mittlerweile daheim in London, gehört zu jenem Typus der modernen Sängerinnen, die ihr Seelenleben nach aussen stülpen. Und es ist eine Narbenschau. Es sind kleine Melancholiestürme, die sie uns in ihren Songs entgegenschleudert. Immer mit der Absicht, anderen denselben Schleudergang zu ersparen.
Mit «But I hate the sun, it makes me feel guilty» sind wir bereits beim ersten Track ihrer neuen EP knöcheltief in der Schwermut. Es geht um falsche Erwartungen der Gesellschaft: Sei doch nicht traurig, draussen scheint die Sonne. Als würde etwas Sonnenlicht sämtliche Traurigkeit einfach wegbrennen. Kings Elliot gelingt es aber, dass daraus kein heavy Depri-Track wird. Im Gegenteil: Es hat etwas Tröstendes. Du da draussen, der traurig in deinem Zimmer sitzt, du bist nicht alleine. Was die Sonne nicht kann, kann das Gemeinschaftsgefühl. Zusammen traurig zu sein, ist weniger traurig.
Sie wolle auch mehr «empoweren», sagt Kings Elliot und sucht nach einem passenden Wort auf Deutsch. Aber mittlerweile hat sich der englische Begriff sowieso längst durchgesetzt. «Ich will, dass es einfacher und selbstverständlicher wird, über seine Probleme zu reden», sagt sie, die selbst an einer Borderline-Störung erkrankt ist.
«I’m Not Always Sad, Sometimes I’m Angry» («Ich bin nicht immer traurig, manchmal bin ich auch wütend») heisst ihre neue Platte. Auch das ist kein Grund zur gesteigerten Sorge um die 30-Jährige, sondern irgendwo zwischen Augenzwinkern und einem ernsthaften Statement. «Ich wollte mehr Wut in meine Songs stecken», sagt Kings Elliot.
Raus aus dem vernebelten Tal
«Sweet nothing» ist so eine bittersüsse Abrechnung mit einem «angel-faced, manipulative, self-obsessive lover», wie sie singt. Das ist entschlossen böse. Und während wir sonst auf den sechs Songs oft im vernebelten Tal unterwegs sind, stehen wir hier auf dem Berg und schauen von oben herab und rufen dem kümmerlichen Ex-Lover noch ein selbstbewusstes «go fuck yourself» hinterher. Soll er nur merken, was er leichtfertig vergeben hat.
Musikalisch erinnert das alles an internationale Grössen wie Billie Eilish. Meist sind die Klänge mehr getupft, geschickt steigern sie sich auf, verzichten aber auf grössere Knalleffekte. Immer durchweht von einer leicht mysteriösen Melancholie. Sehr zeitgeistig.
Was Kings Elliot mindestens so begleitet wie das stete «Wie geht’s?», ist die Prophezeiung des «ganz grossen Durchbruchs». Sie tourte schon mit Imagine Dragons durch die Welt, ihr Song wurde in «Grey’s Anatomy» gespielt, die Eroberung der ganzen Welt schien nur eine Frage der Zeit. Sie lacht: «Das habe ich noch nicht ganz geschafft.» Sie ist zudem im vergangenen Jahr bewusst kürzergetreten und hat sich um ihre eigene psychische Gesundheit gekümmert, damit sie nun wieder Vollgas geben kann.
Ihr Einstieg in die grosse Musikwelt sei «sehr steil» gewesen. Bei der Tour im Vorprogramm 2022 hatte sie gerade einmal fünf Lieder im Gepäck. Zuletzt sind die Stufen auf der Karriereleiter etwas kleiner geworden. «Aber keine Angst, ich habe grosse Ziele und bin ambitioniert», sagt sie. Im kommenden Jahr folge eine Tour und ein Album. Das Format für die Welteroberung hätte sie auf jeden Fall.
Sie, die immer gefragt wird «Wie geht’s?», weiss wie es geht.