Egal ob Charlie Chaplin, Frida Kahlo oder Pelé: Bei Ralph Müller werden sie alle zu Kunstwerken
Ralph Müller baut Bilder. Ja, richtig gelesen. Er malt nicht, er zeichnet nicht, nein, er baut sie. Die meisten sind 60 mal 60 Zentimeter gross. Für die ganz speziellen Fälle darf es aber auch mal das Doppelte sein. Die Motive? So ziemlich alles, was man sich vorstellen kann.
Ralph Müller hat eine Passion «por la Frida». Das spürt man gleich, wenn er über die Künstlerin spricht:
Ein Gemälde des Malers Gustav Klimt auf einem Tuch. Eingerahmt von Müller und erweitert mit schwarzen und goldenen Buchstaben. So hängt die …
… da, und überblickt das Wohnzimmer.
Ihr gegenüber hängt ein Werk, das verglichen mit Müllers quadratischen Bildern aus dem Rahmen fällt.
Zur brasilianischen Seleção hat Müller eine ganz besondere Beziehung, wie er hier erklärt:
Ein letztes Blinzeln.
Fertig ist der Rundgang durch die Wohnung. Zeit, die Augen auf den Mann hinter den Bildern zu richten.
Ralph Müller aus Wangen bei Olten ist eigentlich nur dann ein Künstler, wenn er Feierabend hat. Der 61-Jährige arbeitet Vollzeit als Pfleger in einem Oltner Altersheim.
Bis vor ein paar Monaten war er parallel dazu noch als medizinischer Masseur tätig. Er führte Körper- oder Atemtherapien mit seinen Patienten durch oder half ihnen mit traditionellen asiatischen Massagetechniken, wie zum Beispiel Shiatsu.
Doch die «extreme Unregelmässigkeit» als selbstständiger Masseur sei ihm zu stressig geworden. «Man wird halt nicht jünger», sagt er mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Das Altern scheint ihm keine Sorgen zu bereiten.
Im Gegenteil: «In vier Jahren werde ich pensioniert. Für mich ein schöner Gedanke. Dann habe ich mehr Zeit, mich mit meinen Bildern zu beschäftigen», erklärt Müller. Jetzt bleibe ihm manchmal höchstens eine Stunde am Abend, um daran zu arbeiten.
Das Bilder-Bauen bezeichnet er als Hobby. Und talentiert sei er schon gar nicht. «Handwerklich bin ich nicht begabt. Würden andere Menschen sich dafür Zeit nehmen, könnten sie das, was ich mache, auch», meint er etwas gar bescheiden.
Unendlich viele Ideen
Als Feierabend-Künstler bleibt ihm eigentlich viel zu wenig Zeit. Denn Müller hat noch viel vor. Drei Bundesordner voller Ideen und Konzepte stehen in seinem Büro.
Wie wählt man da aus, was zuerst umgesetzt wird? «Ich habe immer eine Liste mit etwa 20 Projekten im Kopf, die ich als Nächstes umsetzen will.»
Das klingt zwar nach einem Plan, doch daran halten kann er sich nicht. Praktisch jedes Wochenende ist er mit seiner Partnerin unterwegs. Zusammen besuchen sie Museen, historische Altstädte oder Fussball-Fanshops – oft auch im Ausland. Und immer wenn er dann zurückkehre habe er wieder 20 neue Ideen im Kopf, die die anderen verdrängen.
«Ich habe so viele Ideen, dass ein Leben nicht ausreicht, sie alle umzusetzen.»
Von Hermann Hesse bis zum Lied vom Tod
Ist man im Gespräch mit Ralph Müller und hört man ihm zu, wie er von seinen Werken spricht, so verfestigt sich das Bild eines feingeistigen, belesenen Mannes.
Fernseher und Handy besitzt er nicht. Stattdessen widmet sich der gelernte Kaufmann der Philosophie und Literatur. Hermann Hesse, den er «besonders gerne» lese, hat er kürzlich ebenfalls zum Motiv gemacht.
Müller befasst sich aber nicht nur mit Kunst, Literatur und Fussball. Alles, was eine Geschichte erzählen kann oder ihn auf einer ästethischen Ebene anspricht, interpretiert er in seiner eigenen Bildsprache neu. Das können die unterschiedlichsten Dinge sein:
Hier entstehen seine Werke
Seine Bilder baut Müller hauptsächlich im Keller seiner Mietwohnung – es ist seine eigentliche Werkstatt. Hier lagert er in Schubladen, Kisten und Regalen sämtliche Materialien, mit denen sich «was machen lässt».
Damit er nicht die Übersicht verliert, hat er für alle die hier gelagerten Dinge ein Verzeichnis angelegt. Es umfasst Hunderte Einträge.
Die Materialien stammen von überall her: Flohmärkten, Museen, Firmenarchiven, einem Sportantiquariat. Auch Freunde und Bekannte schicken ihm regelmässig Gegenstände vorbei.
«Auf vieles stosse ich zufällig. Manchmal schreibe ich auch gezielt Fussballvereine an, erzähle ihnen von meiner Idee und erhalte mit etwas Goodwill alte Trikots oder Wimpel.»
Die kleinen Vereine seien besonders grosszügig. «Aber die Grossen wie Basel oder Bayern verweisen mich bloss auf ihren Fan-Shop», sagt Müller. Für ein anderes Bild mit Hermann-Hesse-Bezug habe er sogar schon eine Bibliothek in Bombay angeschrieben. Müller fragte, ob sie ihm eine Hindi-Version von Hesses «Siddhartha» schicken könnten. Und tatsächlich: Wenig später erhielt er Post aus Indien.
Aktuell ist er mit einem Bild aus aufgeschnittenen Bierdosen beschäftigt. Im Video erklärt er seine Idee dazu und legt mit Säge, Schere und Leim gleich selbst Hand an.
Er zögert mit dem Bilderverkauf – aber wie lange noch?
Der Wangner hat also noch viele Materialien und noch mehr Ideen auf Lager. Doch weitere Bilder kann Ralph Müller eigentlich nicht mehr produzieren. Ihm geht der Platz aus. Die Wohnung ist schon voll und in seinem Hobbyraum stapeln sich die Bilder bereits bis unter die Decke.
Er sei deshalb schon seit einiger Zeit auf der Suche nach einem geeigneten Atelier. «Toll wäre zum Beispiel in einer leerstehenden Fabrikhalle». Dort könnte er, der bisher nur im stillen Kämmerlein gearbeitet hat, auch zum ersten Mal eine öffentliche Ausstellung durchführen.
Um vom «Hobbykünstler» zum Professionellen zu werden, fehlt dann nur noch eines – nämlich dass er seine Bilder verkauft. Bisher hat er alle selbst behalten.
«Das sind irgendwie auch meine Babys. Es wäre ein komisches Gefühl, sie zu verkaufen.»
Aber nicht unvorstellbar, wie er zugeben muss.
Immer wieder werde er von seinem Umfeld dazu angehalten, endlich eine Ausstellung zu organisieren. «Weil ich so viele Bilder habe, höre ich oft, dass ich sie verkaufen soll. Vielleicht ist das tatsächlich bald eine Option».
Und er geht noch weiter. «Ich könnte mir sogar vorstellen, auf Anfrage auch Auftragsarbeiten zu machen. Eine Herausforderung, die mich reizen würde. Darüber muss ich erst einmal nachdenken …»