Porzellankunst einer Zofingerin wird für wohltätige Zwecke verkauft
Ungewohnt. Ein Blumenmeer im Empfangsbereich. Auf Porzellan allerdings. Im Empfangsbereich der Wülser AG wartet Seniorchef Walter Wülser auf seinen Gast. «Schauen Sie sich die wunderbaren Werke ruhig an», meint er. Die «wunderbaren Werke» stammen aus der Hand der im letzten Jahr verstorbenen Verena Blattner-Müller, deren grosse Leidenschaft die Porzellanmalerei war. Nun sollen sie für einen guten Zweck verkauft werden, wobei der Erlös vollumfänglich der Stiftung Nische zugutekommen wird. Doch wie kam es überhaupt so weit?
Von der Menge «überfordert»
Dem Ganzen gehe eine längere Geschichte voraus, sagt Walter Wülser. Das Ehepaar Verena und Walter Blattner-Müller sei im April 2020 am gleichen Tag einer heimtückischen Corona-Erkrankung erlegen. Da er die beiden aus Schulzeiten gekannt habe, habe er dem ihm ebenfalls bekannten Peter Blattner, dem Bruder von Walter Blattner, ein Kondolenzschreiben gesandt und später auch an der Abdankung teilgenommen. Beim anschliessenden Imbiss in der Altstadt hat Walter Wülser bei der Erbengemeinschaft nachgefragt, was sie denn mit dem wunderschönen Porzellan zu machen gedenke? Sie sei komplett überfordert mit dem Porzellan, habe Doris Müller-Blattner, die Schwester von Walter Blattner, zu verstehen gegeben. Drei Räume im Haus an der Oberen Rebbergstrasse seien übervoll mit Porzellan.
Gina Wülser, Ehefrau von Walter Wülser und ihrerseits ebenfalls Porzellanmalerin, anerbot sich schliesslich, die Hinterlassenschaft zusammen mit Doris Müller-Blattner zu besichtigen. «Meine Frau kam völlig überwältigt zurück», erinnert sich Walter Wülser. Ihm sei es nach einer später erfolgten Besichtigung ebenso gegangen. «Ein Haus voller Kunstwerke» habe er vorgefunden. Schliesslich hat Walter Wülser der Erbengemeinschaft Peter Blattner und Doris Müller-Blattner vorgeschlagen, die umfangreiche Porzellansammlung von Verena Blattner-Müller zu Gunsten einer sozialen Institution zu veräussern. «Meinem Vorschlag wurde umgehend zugestimmt», führt Walter Wülser weiter aus. Dass die Wahl dabei auf die Nische Zofingen fiel, welche in mehreren Häusern in der Region Menschen mit Betreuungsbedarf unterstützt, kommt nicht ganz von ungefähr. Denn der Zofinger Geschäftsmann engagiert sich seit vielen Jahren im Beirat der Institution. Und stellte sich gleich auch zur Verfügung, den Verkauf der mehrere hundert Werke umfassenden Sammlung in die Wege zu leiten.
Verena Blattner-Müller wuchs an der Oberen Rebbergstrasse in Zofingen zusammen mit zwei älteren Schwestern auf. Nach der obligatorischen Schulzeit absolvierte sie eine kaufmännische Berufslehre bei der ehemaligen Allgemeinen Aargauischen Ersparniskasse in Zofingen. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit pflegte sie ihre Eltern Lina und Fritz Müller, welche 1965, respektive 1968 verstarben. 1966 heiratete sie Walter Blattner, der viele Jahre die kaufmännische Leitung in der Strickerei Zimmerli AG in Aarburg innehatte.
Schon in jungen Jahren interessierte sich Verena Blattner-Müller für die Porzellan-Malkunst. Sie besuchte Kurse in Basel und Bern, aber auch in Meissen, der Geburtsstätte der ältesten Porzellan-Manufaktur Europas. «In Meissen hat Verena Blattner-Müller teilweise auch ihre Rohlinge erworben», weiss Walter Wülser. Später gründete sie ein eigenes Porzellan-Atelier, organisierte Malkurse und eigene Ausstellungen. Das Porzellanmalen wurde zur absoluten Leidenschaft und Berufung der Verstorbenen, die aber gar kein Interesse am Verkauf ihrer eigenen Objekte hatte. Jedes gemalte Porzellan-Stück, ob Tasse, Teller, Schale, Vase oder Krug, fand seinen Platz im grossen Wohnhaus an der Oberen Rebbergstrasse. Mit dem heute beginnenden Verkauf startet der Versuch, die Unikate und Raritäten an Liebhaber zu vermitteln.
Meissen – die (europäische) Geburtsstätte des Porzellans
Die erste europäische Porzellan-Manufaktur wurde 1710 in Meissen errichtet, nachdem es Johann Friedrich Böttger gelungen war, eine Rezeptur für weisses Porzellan, beziehungsweise Hartporzellan zu ertüfteln. Lange gelang es nicht, die Rezepturen geheim zu halten. Dem Obermeister der kursächsischen Porzellanmanufaktur gelang mit den Rezepturen im Gepäck die Flucht nach Wien, 1718 entstand mit der Wiener Porzellan-Manufaktur bereits die erste Konkurrenz zum Meissener Porzellan. Eine Nachblüte erlebte die Meissener Porzellan-Manufaktur von 1774–1814, im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts hatte sie dann mit grossen Absatzschwierigkeiten zu kämpfen, die fast zur Stilllegung führten. Der Kampf um das wirtschaftliche Überleben der traditionsreichen Manufaktur hält – nach einer wechselvollen Geschichte – auch heute noch an.
Unzählige Kunstwerke zu günstigen Preisen
Doch zurück zur Hinterlassenschaft von Verena Blattner-Müller. In den Empfangsräumen der Wülser AG in Zofingen werden unzählige bemalte Kunstwerke aus Porzellan verkauft. «Zur Hauptsache sind das wunderschöne Porzellanteller», weiss Walter Wülser. Daneben finden sich aber auch einzelne Platten, Suppenschüsseln, Blumenvasen, wenige Tassen, Moccaservices, Saucieren und Teekrüge. Zudem werden auch einzelne Rohlinge angeboten. Die Preisspanne für die meisten Artikel liegt zwischen 10 und 50 Franken – speziellere Artikel können ein wenig teurer sein. «Das sind günstige Preise angesichts der Qualität des Porzellans», findet Walter Wülser. Zudem sei auch zu bedenken, dass jeder einzelne Franken der Stiftung Nische zugutekomme.
Hoffen auf ein schönes Ergebnis
Der Verkauf des handbemalten Porzellans startet am Donnerstag, 18. November und dauert vorerst bis Weihnachten. Die Artikel können in den Räumen der Wülser AG an der Mühlethalstrasse 67 in Zofingen zu den üblichen Büroöffnungszeiten (Montag bis Freitag, 9 – 12 und 14 – 17 Uhr) besichtigt werden. Ausserhalb dieser Zeiten können Besichtigungstermine auch über Telefon 079 626 53 91 vereinbart werden.
Und wie sind die Erwartungen von Walter Wülser? Der Zofinger Unternehmer atmet tief durch und sagt dann: «Ach, das ist schwierig zu sagen.» Sicher sei Porzellangeschirr momentan nicht gerade in Mode, doch mit dem Geschirr sei es doch auch wie bei der Mode. «Irgendwann wird auch Porzellan wieder in Mode kommen.» So hoffe er denn darauf, dass sich genügend Leute finden würden, die sich ein Kunstwerk anschaffen wollten – und sich damit erst noch für einen guten Zweck engagieren würden.