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Spannendes Rennen um die Nachfolge von Boris Johnson: Ehemalige Verteidigungsministerin und Navy-Reservistin ist die neue Favoritin 

Penny Mordaunt holt gegen den bislang führenden Finanzminister Rishi Sunak auf. Sie ist die neue Favoritin auf das Amt der Parteivorsitzenden und damit automatisch auch auf das der Premierministerin.

Weiter, immer weiter: Im Rennen um die Nachfolge von Boris Johnson bereiten sich die fünf verbliebenen Aspiranten auf zwei TV-Debatten am Wochenende vor. Das Ergebnis der zweiten Abstimmung in der konservativen Unterhaus-Fraktion am Donnerstag Nachmittag bestätigte den neuen Status der Handelsstaatssekretärin Penny Mordaunt als Favoritin auf das Amt der Parteivorsitzenden und damit automatisch auch Premierministerin. Die 49-Jährige (83) machte Boden gut auf den führenden Ex-Finanzminister Rishi Sunak (101), dessen zunächst unangefochten wirkende Kampagne zuletzt ins Stottern geraten war.

Rishi Sunaks Kampagne gerät ins Stottern.
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Neben unsicheren Auftritten des Kandidaten in Medien-Interviews hat dies vor allem mit zwei Umfragen zu tun. Ihnen zufolge würde Mordaunt den 42-Jährigen in der Urwahl der rund 160’000 Tory-Parteimitglieder problemlos aus dem Feld schlagen. Prompt kürten die Londoner Buchmacher die Navy-Reservistin aus der Kriegshafenstadt Portsmouth zur Favoritin.

Rausschmiss durch Johnson klaglos hingenommen

Mordaunt hatte am Mittwoch im ersten Wahlgang überraschend deutlich vor Liz Truss gelegen und konnte am Donnerstag den Abstand gar vergrössern. Weil die amtierende Aussenministerin Truss zum harten rechten Fraktionsflügel zählt, dessen Favoritin Suella Braverman am Donnerstag ausschied, könnte sie bei den weiteren Wahlgängen in der Fraktion an Zuspruch gewinnen. Die 358 Abgeordneten reichen spätestens kommenden Donnerstag zwei Namen an das Partei-Sekretariat, das die Urwahl organisiert. Am 5. September soll die Siegerin oder der Sieger feststehen und bereits einen Tag später in die Downing Street einziehen.

Mordaunt musste als Jugendliche mit einer Krebserkrankung beider Eltern fertig werden; ihre Mutter starb, als die nach einem Kriegsschiff benannte Penelope und ihr Zwillingsbruder James 15 waren. Als erstes Mitglied ihrer Familie schaffte sie es auf die Universität und verdiente nebenbei Geld als Fabrikarbeiterin und Assistentin eines Zauberers. Nach einem vergeblichen Anlauf eroberte sie 2010 für die Torys das Mandat in ihrem Heimatwahlkreis, sprang später bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung für ein Portsmouther Schwimmbad vom Zehn-Meterbrett – der schmerzhaft schiefgegangene Sprung ist auf YouTube zu besichtigen.

Nach anderthalb Kabinettsjahren nahm sie 2019 ihren Rausschmiss durch Boris Johnson klaglos hin, diente später als Staatssekretärin und sammelte Anhänger in der Fraktion. In Zukunft müsse das Staatswohl im Vordergrund stehen, weniger die Bedürfnisse des Premierministers, fordert die 49-Jährige, macht sich also ihre Distanz zum Affären-belasteten Noch-Premier zunutze.

Warnung vor «langfristigem Schaden» durch Debatte um Nachfolge

Eine Woche nach Johnsons trotziger Rücktrittserklärung wird das Hauen und Stechen in der Regierungspartei immer härter. Schon warnt der langjährige frühere Minister Jeremy Hunt die Parteikolleginnen vor allzu bitteren «Blue on Blue»-Attacken: «Sie bringen kurzzeitigen taktischen Vorteil, richten aber langfristig schweren Schaden an.» Die Mahnung verliert dadurch an Wert, dass der 55-Jährige schon im ersten Wahlgang ausschied. Zudem haben die Unterstützer der unterschiedlichen Kandidaten wenig Zeit für längerfristige Überlegungen, schliesslich soll spätestens in einer Woche das Duo feststehen.

Stand zu Wochenbeginn der «Verräter» Sunak im Mittelpunkt der Johnson-Loyalisten, konzentrierte sich am Donnerstag das Feuer auf den neuen Partei-Liebling Mordaunt. Der gescheiterte frühere Brexit-Chefunterhändler Lord David Frost bezweifelte deren Tauglichkeit für höhere Aufgaben: Als seine Stellvertreterin im Kabinettsbüro sei die Staatssekretärin «manchmal verschwunden» gewesen. Dafür sollte man Verständnis haben, schmunzelt Anne McElvoy vom Wirtschaftsmagazin «Economist»: Für den kapriziösen einstigen Whisky-Verkäufer zu arbeiten sei gewiss eine «verdriessliche Aufgabe» gewesen. Mordaunts Team reagierte elegant auf die Invektive: «Penny hat nichts als Respekt für Lord Frost.»

Ähnlich angestrengt wie Frosts Blutgrätsche wirkte auch Truss‘ geringfügig subtilerer Versuch, die Konkurrentin als Novizin zu disqualifizieren: «Ich kann vom ersten Tag an führen.» Warum die Aussenministerin dazu besser geeignet sein soll als die frühere Ressortchefin für Entwicklungshilfe und – kurzzeitig – Verteidigung, blieb ungesagt.

Aussenministerin Liz Truss malt sich ebenfalls noch Chancen auf das Amt der Premierministerin aus
Tolga Akmen / EPA / keystone

Im Gegenteil, argumentieren Mordaunts Befürworter: Die Skepsis gegenüber Johnson spreche für deren Integrität. Zudem habe sie später, als der Premier sie wieder in die Regierung holte, loyal gearbeitet. Zur Integrität und Loyalität geselle sich ein weiterer Pluspunkt: Mordaunt war Brexiteer der ersten Stunde, unterstützte aber die Kompromisssuche der damaligen Premierministerin Theresa May. Dabei schwingt die Vermutung mit: Mays weicherer Brexit hätte dem Land womöglich weniger Schaden zugefügt als Johnsons (und Frosts) beinharte Version.

Freilich wird sich Mordaunt in den TV-Debatten für eine Reihe merkwürdiger Aussagen rechtfertigen müssen. So bezeichnete sie die Zusammenarbeit zwischen der traditionell neutralen Beamtenschaft und den gewählten Volksvertretern als «kaputt». Auch nannte sie die Inflationskontrolle als wichtigste Aufgabe «meiner zukünftigen Monetärpolitik» – als sei dies nicht Aufgabe der unabhängigen Zentralbank.