«Für die Liebe» – aber «zur Unzeit» für die Schweiz: So ordnen Medien Sommarugas Rücktritt ein
Nach Ueli Maurer hat am Mittwoch auch Simonetta Sommaruga ihren Rücktritt aus dem Bundesrat auf Ende Jahr angekündigt. Anders als der 71-jährige SVP-Politiker («Ich habe es sehr genossen und wäre noch immer voll Power. Aber es gibt auch noch anderes daneben.») begründet die 62-jährige SP-Frau ihr Ausscheiden aus der Regierung mit dem kürzlich erlittenen Schlaganfall ihres Ehemanns, dem Schriftsteller Lukas Hartmann.
Entsprechend titelt am Donnerstag der «Blick»:
Im Innenteil der Zeitung analysiert dann die Politik-Chefin:
«Mit diesem Rücktritt sendet Sommaruga ein starkes Signal aus, das sich mancher Politiker und manche Managerin zu Herzen nehmen sollte: Der Job ist nicht alles. Niemand ist unersetzbar.»
Dieses Nein zum Amt respektive Ja zur Familie zeugt laut «Blick» gerade besonders «von Verantwortungsbewusstsein – gegenüber dem Land, gegenüber den Regierungskollegen und gegenüber ihrer eigenen Familie». Und im konkreten Fall könne man Sommaruga auch im Tagesgeschäft nicht vorwerfen, sich aus der Verantwortung zu stehlen: «Das Gröbste ist abgewendet», schreibt die Zeitung mit Blick auf die drohende Energiemangellage: «Nach neuesten Berechnungen wird die Schweiz diesen Winter weder im Dunkeln noch im Kalten sitzen.»
Zu einer etwas anderen Einschätzung kommen am Donnerstag die Tamedia-Zeitungen: «Ein Entscheid, der Respekt verdient», überschreiben «Tages-Anzeiger» & Co. zwar ihren Kommentar. Und auf der Titelseite wirft «Tagi»-Karikaturist Felix Schaad sogar die Frage auf, ob die Schweiz nach Gas- und Öl-Vorräten nun auch einen Notvorrat an Menschlichkeit benötige:
Doch anders als der «Blick» kommen die Tamedia-Zeitungen zum Schluss: Während Sommarugas Rücktrittsentscheid persönlich «die richtige Konsequenz aus den tragischen Vorgängen in ihrer Familie» sei, bringe die Bundesrätin «das Land durch ihren unerwarteten Rücktritt in eine schwierige Lage». Entsprechend heisst es in dem Kommentar mit Blick voraus:
«Wer immer schliesslich das Uvek ‹erben› wird: Die oder der Neue muss von Tag eins an imstande sein, eine der schwierigsten Krisen der Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg zu managen.»
Ähnlich die Einschätzung der NZZ: «Sommarugas abrupter Rücktritt ist verständlich, kommt aber zur Unzeit». Denn das Land verliere nun «jene Bundesrätin, die in der Krisenbewältigung die Fäden in den Händen hält und in fast allen Belangen den Takt vorgibt».
Als oberste Krisenmanagerin habe Simonetta Sommaruga «von Anfang an durch ihre Entschlossenheit» bestochen. «Als andere noch schliefen, leitete sie frühzeitig Massnahmen ein, um zu verhindern, dass die Schweiz in diesem Winter plötzlich im Dunkeln sitzt», schreibt die NZZ. Fazit:
«Keine Frage: Mit Simonetta Sommaruga geht eines der talentiertesten Mitglieder der Landesregierung.»
Kein Verständnis für die «überstürzte Rücktrittsankündigung» hat die «Weltwoche». In seinem Internet-Format «Weltwoche Daily» bezeichnet Chefredaktor Roger Köppel den Entscheid der SP-Frau in einer Spezialausgabe als «unverantwortlich». Und der SVP-Nationalrat wirft Sommaruga vor, damit vor der Energiekrise «davonzurennen». Dabei habe sie ohnehin schon länger «müde gewirkt» und ihre wichtigsten Abstimmungen verloren.
So urteilt die Romandie
Ennet dem Röstigraben schreiben «Tribune de Genève» und «24 Heures» am Tag nach der Rücktrittsankündigung von einer «bewegenden» und «besonderen» Medienkonferenz am Mittwoch in Bern. Laut «Le Temps» passt der Entscheid jedoch zu Sommaruga: «Streng und rigoros, aber auch zutiefst menschlich».
Während die scheidende Bundesrätin mit ihrer Art als Justiz- und später als Umweltministerin politische Siege wie Niederlagen eingefahren habe, hat Sommaruga laut «Le Temps» in ihren beiden Jahren als Bundespräsidentin stets überzeugt. Von «24 Heures» wiederum wird Sommaruga als «Frau mit Kopf und Überzeugung» beschrieben. «Sie hat oft verloren, aber nie als schlechte Verliererin.»