Ist die Ligaphase in der Champions League ein Gewinn? «Ja, jede Partie ist ein Unikat» – «Nein, das ist ein moralischer Bankrott»
Traditionalisten müssen der Uefa danken!
Wenn Fifa oder Uefa eine Veränderung ankündigen, rümpfen wir die Nase. Das ist wie Blinzeln im Gegenlicht – geht nicht anders. Schuld daran sind Fifa und Uefa selber: Mit Korruption, Gigantismus und der Turniervergabe an Unrechtstaaten lieferten die Verbände über die Jahre genug Gründe für eine generelle Abwehrhaltung.
Eine Abwehrhaltung, die leider auch unsere Sinne vernebelte: Was fluchten wir einst über die Einführung der Nations League – doch Hand aufs Herz: Vermisst jemand nichtssagende Freundschaftsspiele gegen Litauen oder Luxemburg? Das gleiche Geheul vor der 2021 ins Leben gerufenen Conference League. Heute müssen wir Schweizer konstatieren: Für unsere Klubs wird der drittklassige Europacup-Wettbewerb in Zukunft die einzige Bühne für positive Resultate sein.
Dass die Uefa ein gutes Gespür für neue Formate zu haben scheint, beweist sie mit der Aufstockung von Champions League und Co. auf 36 Teams erneut. Vor allem aber mit der Abschaffung der Gruppenphase zugunsten des neuen Ligamodells.
Traditionalisten können ja gar nicht anders, als sich darüber freuen, dass vor dem letzten Spieltag ein Klub wie Manchester City die K.-o-Phase zu verpassen droht. Oder dass Salzburg und Leipzig bereits draussen sind. Weil das aus Abu Dhabi gesteuerte City und die Red-Bull-Klubs alles verkörpern, was Romantiker am modernen Fussball hassen.
Nun aber zu den nachhaltigen Gründen, aufgrund derer das Liga-Modell überzeugt: Jede Partie als Unikat ist attraktiver als das bisherige Doppel aus Hin- und Rückspiel, das dann ja ohnehin die K.-o-Phase prägt. Weil die Topteams sich in der Auslosung nicht mehr aus dem Weg gehen können, gibt es mehr Spiele auf Augenhöhe. Und jede einzelne der 144 Liga-Partien hat mehr Gewicht als die der altgedienten Gruppenphase. Wir erinnern uns: Früher schickten die schon für die K.-o.-Phase qualifizierten Topteams (und das waren die allermeisten) nur noch ihre B-Teams aufs Feld.
Das wäre heuer mehr als fahrlässig, wie das Beispiel des aktuell Drittplatzierten Arsenal London zeigt: Um den Platz im Achtelfinal aus eigener Kraft zu sichern und den Gang in die tückischen Playoffs zu verhindern, müssen die Londoner beim schwierigen Auswärtsspiel in Girona punkten. Anders gesagt: Am letzten Spieltag sind erst zwei von acht Teams fix im Achtelfinal, deren 18 kämpfen um die restlichen sechs Plätze. Zum Vergleich: vor einem Jahr waren es am letzten Spieltag der Gruppenphase noch deren fünf.
Endlich tut die Uefa etwas für die Reichen!
Der TV-Sender Blue wirbt dieser Tage mit «Matchday Madness» für den letzten Spieltag der Ligaphase der Champions League, frei übersetzt bedeutet das so viel wie «Spieltagswahnsinn». Das trifft es ziemlicht gut: 36 Teams, 18 Spiele zeitgleich. Nichts dokumentiert besser, was im europäischen Fussball falsch läuft: Immer mehr Spiele, um immer mehr Geld zu generieren. Nur um das geht es: Zum Teil hoch verschuldete Vereine wie den FC Barcelona oder von Staaten mit zweifelhaftem Ruf mit abenteuerlichen Finanzkonstrukten versorgten wie Manchester City (Vereinigte Arabische Emirate) und Paris Saint-Germain (Katar) bei Laune zu halten, damit diese die Drohung, eine «Super League» zu gründen, nicht in die Tat umsetzen.
Ironisch darf man festhalten: Endlich tut die Uefa etwas für die Reichen! Die Zahlen der missratenen Reform: 189 statt 125 Spiele, also satte 64 Spiele mehr. Der Kalender ist überladen, die Belastung für die Spieler viel zu hoch (die Stimmen werden immer lauter), aber was interessiert das Uefa und Klubbosse, so lange das Geld fliesst? Dazu kommt: Die Tabelle ist völlig unübersichtlich, der Modus unfair (jeder spielt gegen sieben andere Gegner je einmal) und schwer nachvollziehbar (8 Teams qualifizieren sich direkt, die Teams auf den Plätzen 9 bis 24 bestreiten ein Playoff – Geld!).
Spannend, dass Freunde der Reform mit mehr Spannung argumentieren. Leider zeigt das Beispiel YB eindrücklich, dass Kleine in der Champions League nicht erwünscht sind und auch nichts verloren haben: 0 Punkte, 3:23 Tore heisst das vernichtende Fazit nach 7 von 8 Spielen. Das zeigt: Dieser Wettbewerb ist vor allem eines: aufgebläht und moralisch bankrott.
Zugutehalten kann man der Reform, dass der letzte Spieltag eine gewisse Spannung verspricht. Aber wetten, dass wir am Ende bei keinem einzigen Team überrascht sein werden, das die K.-O-Phase erreicht? Sensationen wie jene, als die Zyprer von Apel Nikosia 2012 den Viertelfinal erreichten, oder Ajax Amsterdam, das sieben Jahre später im Halbfinal stand, oder Porto, das die Champions League 2004 gewann, wird es nie mehr geben.
Die Champions League dient nur noch als Symbol für den Ausverkauf des Fussballs. Sie ist längst nicht mehr das, was sie einmal war, was sie wieder sein sollte, aber nie mehr sein wird: ein Wettbewerb der Meister Europas.