Wer gewinnt den EM-Final? «Dieses England kann nichts und niemand aufhalten» – «Spanien nimmt alles, weil es alles hat»
England: Die Zeit ist reif für den ersten Titel seit 1966
Prügel. Immer wieder Prügel. Was Trainer und Spieler von England an dieser EM einstecken mussten, sprengt jeden Rahmen. Hat sie die Kritik getroffen? Definitiv. Southgates Jubelfaust nach dem Halbfinal oder Bellinghams «Who else?!»-Ausruf nach dem Achtelfinal erzählen alles.
Entscheidend ist aber eine andere Frage: Hatte die Kritik negativen Einfluss auf die Leistung der Stars? Nein. Im Gegenteil. Die Engländer haben zu einem veritablen Steigerungslauf angesetzt. Mit jeder Minute dieser K.o-Phase wurden sie besser. Southgate fand zum richtigen Zeitpunkt die richtige Taktik (Dreierkette, ab dem Duell mit der Schweiz). Sein Händchen bei den Einwechslungen ist goldig. Als er spürte, dass die Mannschaft auf Kane/Bellingham angewiesen war, beliess er sie gegen jede Logik auf dem Feld. Als er spürte, dass neue Energie gefragt war, reagierte er. Southgate hat jedes Mal Recht bekommen.
Und der wichtigste Punkt: Dreimal lag England in Rückstand. Dreimal hat das Team einen Weg gefunden, dem Abgrund zu entrinnen. Solche Erfahrungen stärken das ohnehin reichlich vorhandene Selbstvertrauen noch einmal. England geht mit dem Gefühl in den Final, sich von nichts und niemandem aufhalten zu lassen. Viele Spieler haben überdies bereits die Erfahrung eines Finals. Dieser ging 2021 an der EM zwar gegen Italien im Penaltyschiessen verloren. Aber das Erlebnis schweisst noch einmal zusammen. Die Spanier hingegen müssen, bei allem Lob über ihre euphorische, beschwingte Spielweise erst einmal klar kommen mit der grössten Bühne.
Darum ist es ab Sonntag vorbei mit Prügel. 2024 gewinnen die Engländer erstmals seit 1966 einen Titel.
Spanien: Schlichtweg das beste Team des Turniers
Der Druck ist ungleich verteilt: Spanien darf, England muss. Wie oft sind die Three Lions «under pressure» doch zerbrochen. Aber lassen wir das. Ebenfalls jenen Punkt, dass sich die Schweiz damit trösten könnte, gegen den späteren Europameister England ausgeschieden zu sein. Ein solches Pflaster hat sie nicht nötig, es bringt auch nichts. Der Satz wäre ohnehin falsch, weil am Ende eines Turniers so häufig wie zurecht das beste Team jubelt: An der EM 2024 also Spanien. «The winner takes it all» – sangen schon ABBA.
Spanien nimmt alles. Weil es alles hat. Vor der EM galten die Iberer als Aussenseiter. Dann zerzausten sie zum Auftakt die Kroaten, das war eine Eruption und die Verwandlung zum Favoriten. Danach zog die Mannschaft von Trainer Luis de la Fuente ihr Ding mit wenigen Ausnahmen unbeirrt durch. Mit einem Kollektiv, das jeden Gegner überstrahlt. Mit einer Spielfreude, der kein Widersacher nur schon nahekommt. Mit einer perfekten Mischung aus alt und jung, bei der zum Glück der Mut zum Risiko belohnt wird. Und ebenso mit einem sehenswerten, geradezu lustvollen Mix von Ballbesitz- und vertikalem Angriffsfussball.
Endlich! Wie hat mich das spanische Tiki-Taka angeödet, wie habe ich es verurteilt!
Ja, Spanien hat alles. Nicht zu vergessen Rodrigo Hernández, kurz Rodri, den besten Spieler der EM. Der Sechser mit der Rückennummer 16 führt das Furia-Roja-Orchester auf dem Platz an. Und lässt den Mitspielern Raum, sich zu entfalten.
Gewiss wird der Final eine enge Kiste. Aber einmal in Rückstand, schafft England gegen derart gefestigte Spanier kein Comeback mehr. Dafür hat das Team des bescheidenen Stierkampfliebhabers de la Fuente viel zu viel Spass.