Tipp-Kick-Mania der Migros spaltet Väter: «Epische Duelle» oder «Polen gegen Polen für 400 Franken»?
PRO: «Es ist mir egal, dass mich die Migros weich geklopft hat»
Ich hatte das Tipp-Kick schon fast vergessen. Seit Jahrzehnten habe ich nicht mehr Fussball im Küchentischformat gespielt. Obwohl wir als Kinder Stunden damit verbracht haben, auf einen Knopf auf dem Kopf eines kleinen Männleins (Frauenfiguren gab es damals keine) zu drücken und damit den Ball im Idealfall ins Tor des Gegners zu befördern. Ich habe vor 31 Jahren als noch nicht ganz 15-Jähriger sogar an den Tipp-Kick-Schweizermeisterschaften mitgemacht.
Die Migros hat jetzt die Tipp-Kick-Mania ausgerufen. Für Einkäufe im Wert von 200 Franken gibt es eine Spielfigur, der Rest des Sets ist für 10.90 Franken zu erstehen. Nun, zahlreiche derartige Promotionen von Grossverteilen nehme ich kaum zur Kenntnis oder maximal emotionslos. Ganz anders bei Tipp-Kick. Die Manie weckt Kindheitserinnerungen.
An die epischen Duelle gegen meinen Bruder und meine Schwester. An das Farbenglück. An die altmodische Stoppuhr, genauso mechanisch wie das Spiel selber. An eine Schweizer-Meisterschaft, an die wir einen Freund unter falschem Namen in die Teilnehmerliste schmuggelten, weil er nicht lizenziert war.
Dass mich ein Grossverteiler emotional für die Tipp-Kick-Aktion weichgeklopft hat, ist mir egal. Erleichternd dazu kommt das minime familiäre Konfliktpotenzial. Es droht keine Gefahr, dass uns die Kinder nötigen, bei Migros anstatt im Coop zu posten. Mit dem Onlinelieferdienst flattern die Sticker quasi automatisch ins Haus.
Wir hoffen, dass wir attraktive Spielfiguren erhalten. Eine Schweizerin und einen Italiener zum Beispiel. Wenn genug Sticker gesammelt sind, bin ich gerne wieder Kind. Das Spiel ist cool, erfordert Geschicklichkeit und ist kein «Computerzeugs», wie es der frühere Tipp-Kick-Präsident Gottfried Balzli einst formuliert hat.
CONTRA: «Polen gegen Polen für 400 Franken – ernsthaft?»
Haben Sie schon mal jemanden enttäuscht, indem sie ihn beschenkt haben? Mit Geschenken kann man vermeintlich nur gewinnen, aber die Alltagserfahrung lehrt etwas anderes. Vor allem Kinder schauen dem Gaul ins Maul und sind nicht gut darin, Enttäuschungen zu verbergen.
Womit wir bei der Tipp-Kick-Mania sind. Eigentlich sollte die Migros damit nur gewinnen können. Wer für 200 Franken eingekauft hat, bekommt eine Tipp-Kick-Figur «geschenkt». Um spielen zu können, braucht es zwei. Macht 400 Franken Umsatz. Das Spielfeld ersteht man separat (Fr. 10.90).
Mit dem Umsatzerfordernis steigen die Erwartungen. Das Marketing kurbelt sie zusätzlich an. Da kickt eine Brasilianerin gegen einen Schweizer. Offenbar die werbewirksamsten der insgesamt 22 Nationen dieser Aktion.
Die Werbung wirkt. Der 9-Jährige kommt freiwillig mit zum Wocheneinkauf, der, logisch, bei der Migros erledigt wird. Die vollen Taschen genügen, um eine Kick-Figur zu bekommen. Die Box wird noch im Laden geöffnet. Es ist ein Pole. Sohnemann lächelt tapfer.
Der nächste Wocheneinkauf, erneut bei der Migros. Der Handscanner addiert, dann ist die 200-Franken-Marke erreicht. Anspannung beim Öffnen der zweiten Box. Wieder ein Pole. Nun ist die Lage prekär. 400 Franken, und es spielt immer Polen gegen Polen?
Die Verkäuferin schliesst einen Umtausch erst aus. Dann blickt sie ins Kindergesicht und bekommt Mitleid. Ihre Vorgesetzte aber bleibt hart: «Tausch doch auf dem Pausenplatz!» Wie weltfremd. Das geht bei Panini, aber für diese Figuren gibts dort keinen Markt. «Online-Tauschbörse!» Nein, Tipp-Kick ist doch eben mal was ohne Bildschirm.
Also Polen gegen Polen die nächsten Wochen.