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Fünf Töchter in Somalia beschnitten – Eltern in Baden vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft hat ein Elternpaar aus Somalia angeklagt. Sie wirft ihnen mehrfache Genitalverstümmelung beziehungsweise Anstiftung dazu vor. Am Dienstag mussten sich die beiden vor dem Bezirksgericht Baden verantworten. 

Seit dem 1. Juli 2012 gibt es einen Artikel im Schweizerischen Strafgesetzbuch, der die Verstümmelung weiblicher Genitalien unter Strafe stellt. Auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Bestraft werden können nicht nur Beschneiderinnen und Beschneider, sondern auch die Eltern, die ein Mädchen beschneiden lassen.

Die Staatsanwaltschaft Baden hat eine Somalierin und einen Somalier angeklagt. Sie wirft den beiden vor, sie hätten zwischen 2012 und 2016 fünf ihrer Töchter in Somalia beschneiden lassen. Die Mädchen waren bei der Beschneidung zwischen vier und elf Jahre alt.

Tochter erzählte im Sexualkundeunterricht von der Beschneidung

Am Dienstag wurde den Eltern vor dem Bezirksgericht Baden der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft forderte für beide eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren sowie eine Busse in der Höhe von 2000 Franken.

Der Vater lebt seit 2014 in der Schweiz. Die Mutter und die Kinder folgten ihm 2018. Zum Zeitpunkt der Beschneidung lebten also zumindest die Mutter und die Töchter noch in Somalia.

Den Fall ins Rollen gebracht hat eine der Töchter. Sie erzählte während des Sexualkundeunterrichts in der Schule, dass sie beschnitten worden sei. Daraufhin involvierte die Schule die Kinderschutzgruppe, die das Mädchen und ihre Schwestern daraufhin gynäkologisch untersuchte und schliesslich aufgrund der festgestellten Verstümmelungen im Genitalbereich Anzeige erstattete.

Eltern machen keine Aussage – Motiv bleibt unklar

Vor Gericht verweigerten die Eltern sämtliche Aussagen, wie sie es bereits während des Verfahrens getan haben. Über das Motiv lässt sich deshalb nichts sagen. Die Staatsanwaltschaft hielt in ihrem Plädoyer fest, die Eltern seien «wohl einfach der Tradition gefolgt». In Somalia sind 98 Prozent der Frauen von Genitalverstümmelung betroffen.

Auch die fünf betroffenen Töchter haben in Strafverfahren keine Aussagen gemacht. Die beiden älteren, die inzwischen volljährig sind, haben darauf verzichtet, im Strafverfahren gegen ihre Eltern als Privatklägerinnen aufzutreten. Die drei Minderjährigen waren anwaltschaftlich vertreten und stellten vor Gericht Schadensersatz- und Genugtuungsforderungen.

Ihre Anwältin wies in ihrem Plädoyer auf den inneren Konflikt der Kinder hin. Sie seien zwar alle Opfer einer Straftat. Gleichzeitig seien sie stark geprägt vom kulturellen Hintergrund in ihrer Heimat und sie lebten bei ihren Eltern, seien abhängig von ihnen und liebten sie auch.

Verteidigung plädiert auf Freispruch

Der Verteidiger des Vaters verlangte in seinem Plädoyer, das Verfahren sei einzustellen oder sein Mandant freizusprechen. Bei mehreren Töchtern sei aufgrund des Zeitraumes in der Anklageschrift nicht klar, ob die Gesetzesbestimmung zur Genitalverstümmelung in der Schweiz überhaupt schon in Kraft war. Und bei den anderen Fällen habe er bereits in der Schweiz gelebt und die Eingriffe nur schon wegen der räumlichen Distanz nicht verhindern können.

Die Verteidigerin der Mutter plädierte ebenfalls auf Freispruch. Sie warf der Staatsanwaltschaft vor, den Anklagegrundsatz verletzt zu haben. Der Sachverhalt in der Anklageschrift sei nicht ansatzweise nachgewiesen. Weiter führte sie aus, das Strafverfahren sei für die Mutter äusserst belastend gewesen. Sie forderte für die ausgestandenen Ängste ein Schmerzensgeld in der Höhe von 1000 Franken.

Zu viele Fragezeichen für einen Schuldspruch

Das Bezirksgericht Baden hat die Eltern freigesprochen. Das Urteil war einstimmig. «Der Freispruch ist nicht erfolgt, weil wir das nicht schlimm finden», sagte Gerichtspräsidentin Gabriella Fehr an die Adresse der Eltern. «Es ist ein sehr schlimmes Unrecht, das Ihren Töchtern widerfahren ist.»

Der Freispruch sei erfolgt, so Fehr, weil das Gericht nicht genau wisse, was genau passiert sei in Somalia und welche Rolle die Eltern dabei gespielt hätten. Sie klärte die Eltern aber darüber auf, dass sie nun in der Schweiz zu Hause seien und Genitalverstümmelung hier nicht erlaubt sei. «Sollten Sie Ihre jüngste Tochter, die noch nicht beschnitten ist, beschneiden lassen, werden Sie bestraft.»

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es könnte ans Obergericht weitergezogen werden.