Schicken Sie Ihre Gefühle nicht in den Keller: Wie man trotz bad news gesund bleibt
Vor der Zeit von Klicks und Swipes war der Tag voraussehbar strukturiert. Einmal am Tag hat man die Zeitung gelesen, und am Abend ist man vor die Tagesschau gesessen. Dazwischen konnte man sich in relativer Ruhe auf die Arbeit einlassen. Damit war man genügend informiert, gerüstet für Diskussionen mit Freunden – und bereit für Abstimmungen oder Wahlen.
Heute ist das alles anders. Viele Menschen sind in jeder Wartezeit im news feed, und wer up to date sein will, wird ohne Verzögerung über Push-Nachrichten über Klimakapriolen und neue Konflikte informiert. Selbst wer es nicht will, wird informiert: auf Bildschirmen im Postauto, am Radio, auf Social Media. Bei all den bad news bekommt man den Eindruck, dass die Welt definitiv bachab geht. Gregor Waller von der Fachgruppe Medienpsychologie der ZHAW schätzt, dass der Anteil der schlechten Nachrichten etwa 75 Prozent betragen dürfte. Und fügt an: «Und es ist eben so, dass das Negative meist explosiv passiert, also mit Bomben oder einer Überschwemmung, das Positive sich aber eher schleichend und unauffällig ereignet und es so gar nicht in die News schafft. Das führt natürlich zu einer Verzerrung der Wahrnehmung, wie gut oder schlecht die Welt eigentlich ist.»
Und wer sich von diesen bad news auch noch berühren lässt und mitfühlt, der hat doppelt Pech, landet in einer Abwärtsspirale, die zu Hoffnungslosigkeit und in eine Depression führen kann. Die gute Nachricht: Es gibt eine ganze Reihe von Strategien, mit der Flut der Nachrichten kompetenter umzugehen.
Es sind unsere Gene
Als Erstes hilft es, ganz an den Anfang zu gehen. Eine Million Jahre zurück, als unsere Vorfahren noch durch die Savannen Afrikas streiften. Da galt es, vorsichtig zu sein, jedes Rascheln hinter einem Busch könnte von einem Raubtier stammen. Wer hier zu locker und zu optimistisch unterwegs war, wurde tatsächlich gefressen. Ergo: Es überlebten nur diejenigen, die stets vorsichtig waren, diejenigen, die ihren Radar quasi auf bad news eingestellt hatten.
Heute warten Löwen und dergleichen aber nicht mehr hinter der Hausecke, und trotzdem läuft dieser innere Radar für lauernde Katastrophen weiter. Wer sich dieses Mechanismus bewusst macht, kann die bad news besser einordnen. Medien und Medienkonsumierende bilden eine Gruppe in der Savanne und fokussieren mit Vorliebe auf bad news. Will heissen: Was da gedruckt und gelesen wird, ist nur ein Ausschnitt der ganzen Wahrheit. Niemand schreit in Afrika herum: «Schaut, hinter dem Baum dort hat es keinen Löwen!»
Das Rosling-Phänomen
Ist nun also die Welt schlechter als früher? Der schwedische Arzt Hans Rosling (1948–2017) untersuchte in seinem berühmten Werk «Factfulness – Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist» diese Verzerrungen. Und zeigte anhand von Daten, dass die Welt in vielerlei Hinsicht besser geworden ist. Beispiele sind der medizinische Fortschritt, die Säuglingssterblichkeit, aber auch Fortschritte bei der Bildung und der Armutsbekämpfung. Das Buch stellt zudem zehn Denkwerkzeuge vor, um solche verzerrten Wahrnehmungen zu erkennen.
Es gibt (nicht wenige) Menschen, die auf den Strom von bad news so reagieren, dass sie kaum noch Nachrichten lesen. News avoidance nennt sich dieses Phänomen. Das ist nachvollziehbar, hat aber ein paar Tücken: Zum Beispiel, dass man im Gespräch mit Freunden plötzlich feststellt, dass man da ein Thema total verpasst hat. Waller von der ZHAW sagt dazu: «Es ist wichtig, einen guten Mittelweg zu finden zwischen ständigem News-Konsumieren über verschiedene Apps und dem anderen Extrem, der news avoidance. Unsere Demokratie kann nur mit informierten Bürgerinnen lebendig bleiben. Das gelingt, indem man ein oder zwei Qualitätsmedien auswählt und die zu bestimmten Zeiten ganz bewusst konsumiert.»
Den Dämon umsorgen
Doch auch mit entzerrter Weltsicht und einer neuen Medienkompetenz kann es sein, dass Nachrichten Gefühle von Trauer, Wut, Angst oder Ohnmacht auslösen. Tausende von Menschen verlieren bei einem Anschlag ihr Leben, die globale Temperatur steigt noch schneller als erwartet, und der Biodiversität gehts schlecht.
«Es ist ganz normal, dass wir uns Sorgen machen, wenn wir von all dem Leid und den Problemen in der Welt lesen», sagt Jan Martz, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Winterthur. «Als Erstes ist es wichtig, solche Gefühle wahrzunehmen und sie als eine Realität anzunehmen, statt uns abzuwenden oder uns irgendwie zu betäuben.» Achtsamkeit und Akzeptanz sind hier die Stichworte. Doch wie macht man das konkret?
«Ein erster Schritt ist es, das Gefühl zu benennen, ihm einen Namen zu geben», sagt Martz. Man kann sich dann sagen: «Hallo, mein Angstdämon ‹Balrog› ist hier. Und ich weiss, dass er auch wieder gehen wird.» Defusion nennt sich das in der ACT-Therapie (Akzeptanz- und Commitment-Therapie). «Es geht darum, dass man nicht mit dem belastenden Gefühl verschmilzt. Sondern dass ich feststellen kann: ‹Okay, ich habe zurzeit dieses Gefühl.› Aber auch zu wissen, dass das wieder vorbeigeht, und dass man mehr als dieses Gefühl ist», fügt Martz an.
In einigen Richtungen der buddhistischen Psychologie geht man noch einen Schritt weiter. Hier wird man sich des Gefühls-Dämons nicht nur bewusst, man füttert ihn sogar. Erst wenn Angst oder Trauer die Zuwendung erhalten, die sie brauchen, können sie ihre Energie verlieren. Der Fitnesscoach würde es so sagen: Wenn ein Gefühl in den Keller gesperrt wird, also verdrängt wird, macht es dort doch nur Krafttraining – und wird irgendwann gestählt und noch mächtiger wieder hochkommen.
Das sind anspruchsvolle Konzepte: Sich unserer genetischen Prädisposition bewusst werden. Die Sicht auf die Welt verändern. Medien selektiv und bewusst lesen. Belastende Gefühle wahrnehmen und entschärfen. Es gibt aber auch noch ein paar ganz praktische Ratschläge.
Wärme für das Herz
Schauen Sie gut zu sich selbst. Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge sind hier die Stichworte. Füllen Sie geistig einen Werkzeugkasten mit Sachen, die Ihnen guttun. Im Wald spazieren gehen, Freunde treffen, Musik hören, ein leckeres Essen. Und setzen Sie diese Werkzeuge auch um, wenn Sie denken, dass Sie einen Schub Wärme im Herz brauchen.
Achten Sie bewusst auf positive News. Es gibt sogar Apps und Websites, die sich auf good news spezialisiert haben, etwa die Apps «Good News» und «Good News Network».
Engagieren Sie sich. Sich in einer Gruppe für eine gute Sache einzusetzen, setzt viele gute Energien und Gefühle in uns selbst frei. Jan Martz sagt dazu: «Seien Sie sich bewusst, dass es Sie nur einmal auf diesem Planeten gibt. Nur Sie haben genau Ihr Set an Fähigkeiten und Talenten. Nutzen Sie sie und machen Sie die Welt ein ganz kleines Stück besser.»