Moskau-Attentäter: «Erhielt eine halbe Million Rubel, um zu töten – ich weiss nicht von wem»
Bei einem Terroranschlag auf das Moskauer Veranstaltungszentrum Crocus City Hall hat es viele Tote und Verletzte gegeben. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hat nach eigenen Angaben elf Verdächtige festgenommen, darunter auch vier mutmasslich direkt an der Tat beteiligte Schützen.
Was man bisher weiss
Tatort und Zeitpunkt:
Der Anschlag ereignete sich in Krasnogorsk im Nordwesten von Moskau in dem beliebten Veranstaltungszentrum Crocus City Hall. Dort gibt es auch eine Konzerthalle mit mehr als 6000 Plätzen, wo am Freitagabend die russische Band Piknik auftreten sollte – vor ausverkauftem Haus.
Kurz vor 20.00 Uhr Ortszeit (18.00 Uhr MEZ) fuhr dort laut Augenzeugen ein weisses Auto vor, aus dem bewaffnete Männer ausstiegen und das Feuer auf Wachpersonal und Besucher eröffneten.
Die mutmasslichen Täter:
Die vier direkt beteiligten mutmasslichen Schützen sollen sich keine halbe Stunde in der Crocus City Hall aufgehalten haben. In der Konzerthalle schossen sie laut Augenzeugen wahllos auf Konzertbesucher und legten dort Feuer mit Benzin, das sie im Rucksack hatten. Danach konnten die Täter in dem Auto, mit dem sie den Augenzeugen zufolge gekommen waren, fliehen.
Das Auto wurde dann nach offiziellen Angaben gestoppt, in dem Wagen lagen demnach Waffen und tadschikische Pässe. Insgesamt spricht der russische Inlandsgeheimdienst von elf Festgenommenen.
Behörden und Sicherheitsmassnahmen:
Einsatzkräfte sperrten die Crocus City Hall wegen der Spurensicherung ab. In der russischen Hauptstadt und im Moskauer Umland wurden alle Grossveranstaltungen abgesagt. Theater, Kinos und Museen blieben über das Wochenende geschlossen. Auch der Rote Platz in Moskau war abgesperrt.
In der ganzen Stadt gab es ein verstärktes Aufgebot von Uniformierten. Zu Hunderten folgten Menschen Behördenaufrufen, für die vielen Verletzten Blut zu spenden.
Reaktion von Putin:
Präsident Wladimir Putin meldete sich erst am Samstagnachmittag mit einer Videoansprache zu Wort. Er verurteilte den Terroranschlag und setzte für Sonntag einen nationalen Trauertag in Russland an.
Hier sehen Sie das Video seiner Rede vom Russischen ins Englische übersetzt:
Putin hatte in dieser Woche bei einer Rede vor dem FSB jüngste Warnungen der USA und anderer Staaten vor einem bevorstehenden Terroranschlag in den Wind geschlagen. Solche Provokationen nutze der Westen, um die Lage in Russland zu destabilisieren, behauptete er. Die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa, sagte am Samstag, wenn die USA Fakten hätten, sollten sie diese präsentieren.
Das Bekennerschreiben:
Bekannt hat sich am Freitagabend zu dem Anschlag die Terrormiliz Islamischer Staat, den Russland in Syrien bekämpft. Dies schreibt der IS auf seinem Telegram-Kanal – Experten halten eine entsprechende Mitteilung auch für echt:
«Kämpfer des Islamischen Staates haben eine grosse Versammlung von Christen in der Stadt Krasnogorsk am Rande der russischen Hauptstadt Moskau angegriffen, töteten und verletzten Hunderte und richteten grosse Zerstörungen an, bevor sie sich in ihre sicheren Stützpunkte zurückzogen.»
Am Samstag veröffentlichte der IS zudem verpixelte Fotos der angeblichen Attentäter. Die Kämpfer hätten bewaffnet mit Sturmgewehren, Pistolen und Bomben Russland einen «schweren Schlag» versetzt, hiess es in der Mitteilung. Der Angriff habe «Tausenden Christen in einer Musikhalle» gegolten.
Was wir nicht wissen
Tote und Verletzte:
Unklar ist, wie viele Tote und Verletzte es genau gibt, weil die Beseitigung der Trümmer nach einem Grossbrand in der Konzerthalle am Samstag andauerte. Zudem gab es so viele Schwerverletzte, dass die Behörden davon ausgingen, nicht alle Leben retten zu können. Gefunden wurden etwa auch die Leichen von Frauen, die sich auf einer Toilette vor den Schüssen zunächst in Sicherheit gebracht hatten. Sie starben wohl an einer Rauchvergiftung.
Die Schützen:
In den russischen Staatsmedien und sozialen Netzwerken gibt es mehrere Videos und Fotos, auf denen die mutmasslichen Täter zu sehen sein sollen – und auch befragt werden zu ihrer Person. In einem der Videos soll der Mann behaupten, dass er bereits am 4. März von der Türkei aus nach Russland eingereist sei. Die Echtheit der Videos konnte jedoch zunächst nicht überprüft werden.
Hier sehen Sie eines dieser Videos. Achtung, die Handlungen im Video könnten etwas verstörend wirken:
Der Mann wird gefragt: «Was hast du in der Konzerthalle gemacht?» Er antwortet: «Ich habe auf Menschen geschossen.» Warum, lautet die nächste Frage. «Für Geld. Eine halbe Million Rubel», umgerechnet 4872 Franken. «Für was?», wird der Mann erneut gefragt. Die Antwort: «Um zu töten.»
Allerdings habe er erst die Hälfte des Geldes erhalten. Die Waffen hätten sie bekommen. Von wem der Auftrag kam, kann oder will der Mann nicht genau sagen. «Ich wurde auf Telegram angeschrieben. Ich habe keinen Namen.»
Nicht gesichert sind auch Berichte, wonach es sich um Staatsbürger der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Tadschikistan handeln soll. Die Pässe könnten gefälscht sein. Tadschikistan, das an Afghanistan grenzt, ist jedoch bekannt als ein Rückzugsort islamistischer Terroristen.
Russische Zweifel an Bekennerschreiben:
Die russischen Ermittler äusserten sich zunächst nicht zu dem Bekennerschreiben des IS, in russischen Medien war auch teils von einem angeblichen «Fake» die Rede. Russische Propagandisten behaupteten, dass hinter dem Anschlag die Ukraine stecken soll.
Auch Putin behauptete, dass es eine ukrainische Spur geben soll. Beweise dafür legten sie nicht vor. Die Ukraine, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen brutalen Angriffskrieg führt, wies die Gerüchte über eine Beteiligung deutlich zurück.
Die Folgen:
Es dürfte sich um einen der schwersten Terroranschläge handeln seit dem Schulmassaker von Beslan 2004. Zu erwarten ist, dass – wie immer nach solchen Angriffen – die ohnehin massiven Sicherheitsvorkehrungen in Russland noch einmal drastisch verschärft werden. Die Behörden werden sich Fragen gefallen lassen müssen, warum sie trotz immer wieder behaupteter Erfolge bei der Fahndung nach Terroristen diesmal so breit versagt haben. (dpa/cam)