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Als es noch keine Airpods gab: Ein Nachruf auf den Kabelsalat
Wir befinden uns im Jahr 2013, und es knirscht im Ohr. Linksseitig sind alle Bemühungen vergebens, doch rechts, da besteht noch Resthoffnung. Vorausgesetzt, man besetzt einen Fensterplatz, sodass man den Ohrstöpsel kraftvoll via Glaswand in Innenohr-Nähe pressen kann.
Ab dort ist wissenschaftliche Akribie gefragt: Biegt man das Kabel nach rechts, bekommt es der Punkrock mit Herzrhythmusstörungen zu tun. Neigt man es zu weit nach links, kann nur noch der Tod festgestellt werden. Das Kabelknäuel verzeiht keine Liederlichkeit.
Einen Winkel von exakt 47 Grad, 26 Minuten und 39 Sekunden nordwärts verlangt das Kabel beim Austritt aus der Buchse, von dort gespannt zwischen Daumen und Zeigefinger und vom Knie in Balance gehalten. So gibt es sie zu hören: die wohl unter- und obertonärmste Version von Green Days «Holiday», gänzlich basslos und in knapp vernehmbarer Maximallautstärke.
Seine spontane Dysfunktionalität wird uns fehlen
Jahrzehntelang hing der In-Ear-Kopfhörer treu an unserer Seite – bis die smarten Geräte ihn des Klinkensteckers und somit seiner Existenzgrundlage beraubten. Seine störrische Art und seine spontane Dysfunktionalität werden uns fehlen. Mit ihm verlieren die technischen Utensilien ein Familienmitglied von unnachahmlicher Unberechenbarkeit. Keine andere Anschaffung werden wir je so oft ersetzen müssen, kein anderer Wackelkontakt wird derart an den Nerven rütteln.
Mobiles Musikhören im Jahr 2013 war unsäglich, unerträglich und wunderbar. In stillem Bedauern nehmen wir Abschied vom Kabelsalat. Nichts wird seine Buchse füllen können.