Vom Emmental ins All: Die Schweiz kriegt einen Astronauten-Lehrling
Noch bevor Marco Sieber zu seiner ersten Kosmos-Mission startet, hat er das Schwierigste geschafft: Der 33-jährige Berner wurde aus über 22 000 europäischen Kandidatinnen und Kandidaten auserkoren, eine Astronauten-Laufbahn einzuschlagen. Die Europäische Raumfahrtagentur (ESA) stellte am Mittwoch nach einem langen Auswahlverfahren 17 Frauen und Männer vor, die sich Hoffnung machen können, einmal ins Weltall zu gelangen. Unter ihnen ist Marco Sieber. 2023 wird er im europäischen Astronautenzentrum in Köln eine einjährige Ausbildung beginnen. Als Fernziel winkt zum Beispiel ein Aufenthalt in der Internationalen Raumstation (ISS).
Sieber ist der zweite nominierte Astronaut der Schweiz seit Claude Nicollier, der mehrere Raumflüge unternahm und bei einer Ausserbord-Mission einmal das Teleskop Hubble reparierte. Sieber ist nicht Militärpilot wie Nicollier, dafür ausgebildeter Fallschirmjäger sowie Privatpilot. In Burgdorf (BE) aufgewachsen, studierte er an der Uni Bern Medizin. Nach diversen Posten in der Traumatologie, Anästhesie und der Heli-Rettung arbeitete er am Universitätsspital Bern in der Urologie. Zu seinen Hobbys gehören zahlreiche Abenteuersportarten wie Tauchen, Skitouren oder Kitesurfen.
Europas Weltallstrategie
Die ESA machte am Mittwoch mit der showmässigen Präsentation ihrer Astronauten-Aspiranten klar, dass sie nicht länger die kleine Schwester ihres amerikanischen Pendants NASA sein will. An ihrer Ministertagung, die nur alle drei Jahre stattfindet, beschloss sie eine ehrgeizige Strategie bis 2025. Dafür stellt sie insgesamt 16,9 Milliarden Euro zur Verfügung – 2,4 Milliarden mehr als vor drei Jahren. Die Schweiz steuert 634 Millionen Euro bei (gegenüber 542 Millionen vor drei Jahren). Schweizer Firmen können dafür mit ähnlich hohen Aufträgen rechnen. Und ab und zu eben mit einem Astronauten-Lehrling.
Die deutsche ESA-Ratsvorsitzende Anna Christmann nannte die Tagung ein «sehr klares Signal an die Welt, dass wir im All ein starker Akteur sein wollen». Im Kernbereich der europäischen Raumfahrt, dem Bau und dem Start von Satelliten, einigten sich Deutschland, Frankreich und Italien auf ein Programm für «Microlauncher». Diese Miniraketen lancieren so genannte «Konstellationen» von Kleinsatelliten, die unter anderem erdumspannendes Internet aus der Luft ermöglichen. Die Amerikaner sind bereits daran, ein solches Netz namens Starlink aufzubauen; 2000 von insgesamt 40 000 Zwergsatelliten hat der US-Unternehmer Elon Musk bereits im Niedrigorbit platziert.
Dass die Europäer nun eine eigene Konstellation aufbauen wollen, wurde in Paris auch vom französischen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire als «Meilenstein für die europäische Souveränität» gewertet.
Trotz grossen Zielen: man ist sich nicht in jedem Punkt einig
Die europäische Einigkeit wurde dagegen auf eine harte Probe gestellt. Die Franzosen sträubten sich gegen die Microlauncher; sie bevorzugen schwere Raketen wie die Ariane, deren 6. Generation Ende 2023 abheben soll. Dieses europäische Pionierwerk hatte den Europäern jahrzehntelang die Vorherrschaft im Satellitengeschäft gesichert. Heute ist es allerdings ins Hintertreffen geraten, da Musk mit seinen wiederverwertbaren SpaceX-Raketen bedeutend billigere Satellitenstarts offerieren kann.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck erreichte in Paris, dass die staatliche ESA nun vermehrt auf private Kleinanbieter setzt. Und die stammen in Europa vorwiegend aus der deutschen Space-Branche. Dieser Strategiewechsel zeigt immerhin, dass die Europäer in der Lage sind, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Bloß erfolgt die Anpassung spät – vielleicht zu spät. Mehrere Jahre sind wegen der internen Differenzen zwischen Paris, Rom und Berlin verlorengegangen.
Auf bisherigen Erfolgen aufbauen
Die ESA hat allerdings in einigen Bereichen auch Erfolge vorzuweisen. Dazu gehört das europäische Navigationssystem Galileo mit bereits dreissig Satelliten im Orbit. Oder auch der ganze Bereich der Erdbeobachtung: Mit seinen UV-Lasern läge Europa sogar vor den Konkurrenten, die diese Technik nicht beherrschten, meinte ESA-Direktor Josef Aschbacher am Mittwoch.
Der Österreicher bestätigte ferner, dass die europäische ExoMars-Expedition mit einem mobilen «Rover» weitergehe. Die Russen sind zwar ausgestiegen. Der Beizug amerikanischer Firmen rettet aber das Projekt, das im Frühjahr wegen des Ukraine-Krieges fast eingestellt worden wäre.
Was Aschbacher nicht sagte: Da die russischen Sojus-Raketen der ESA nicht mehr zur Verfügung stehen, muss sie ebenfalls bei den Amerikanern anklopfen. Europäische Galileo-Satelliten sollen nun vermittels SpaceX von Elon Musk ins All gelangen. Die europäische Souveränität im Weltall ist noch nicht perfekt.