Syrische Familie klagt wegen zu tiefer Sozialhilfe im Aargau – das sagt das Bundesgericht
Personen, deren Asylgesuch abgelehnt wird, denen es aber nicht zumutbar ist, in ihr Heimatland zurückzukehren, werden in der Schweiz vorläufig aufgenommen. Als vorläufig Aufgenommene haben sie Anrecht auf Asylsozialhilfe, sofern sie nicht wirtschaftlich selbstständig sind.
Im Kanton Aargau erhalten Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren seit diesem Jahr 9.50 Franken pro Tag. Kinder zwischen 6 und 16 Jahren erhalten 9 Franken, unter 6-Jährige 8 Franken. Der Grosse Rat hatte den Betrag letztes Jahrum 50 Rappen pro Tag erhöht. Jener für Kinder wurde schon früher von 5 auf 8 Franken angehoben. Damit ist der Aargau aber immer noch weniger grosszügig als andere Kantone.
Eine sechsköpfige syrische Familie, die 2017 in die Schweiz flüchtete und im Aargau mit dem Status vorläufig aufgenommen lebt, hat sich gegen die tiefen Asylsozialhilfe-Ansätze gewehrt.Ende 2021 reichte sie beim Regierungsrat eine Beschwerde ein.Die Familie verlangte, den Anspruch auf Sozialhilfe neu festzusetzen. Die Bemessung habe sich an jener der anerkannten Flüchtlinge zu orientieren.
Der Regierungsrat wies die Beschwerde ab. Die Familie zog den Entscheid zuerst ans Aargauer Verwaltungsgericht und schliesslich ans Bundesgericht weiter. Allerdings ohne Erfolg, wie das kürzlich publizierte letztinstanzliche Urteil zeigt.
Finanzielle und materielle Leistungen würdigen
Das Bundesgericht hält fest, die Familie habe über die finanzielle Asylsozialhilfe hinaus verschiedene Sachleistungen erhalten. Nebst einer voll möblierten und eingerichteten 3,5-Zimmer-Wohnung mit Fernsehgerät habe ihr kostenlos WLAN sowie ein Festnetzanschluss zur Verfügung gestanden. Die Wohnung sei zudem mit Geschirr, Handtüchern und Bettwäsche ausgestattet gewesen und auch Putz- und Waschmittel seien zur Verfügung gestellt worden.
Mit Blick auf diese Leistungen sei die finanzielle Unterstützung nicht isoliert zu betrachten, sondern als Gesamtpaket zu würdigen, so das Bundesgericht. Weiter führen die Richter aus, dass sich die Ansätze im Aargau in einem zulässigen Bereich bewegten. Es sei zu berücksichtigen, dass die Kantone ein Interesse hätten, eigenständig die Zuwanderung zu steuern. «Von Verfassungs wegen zählen zu den Mitteln der Zuwanderungssteuerung auch Einschränkungsmöglichkeiten bei den Sozialleistungen», heisst es im Urteil.
In der Beschwerde wurde primär gerügt, die zu tiefen Ansätze würden zahlreiche verfassungsmässige Rechte verletzen, etwa Menschenwürde, persönliche Freiheit oder Schutz des Kindeswohls. Das Bundesgericht hält fest, der ausbezahlte Betrag sei zwar sehr tief gewesen. Das Existenzminimum sei aber gewährleistet gewesen, deshalb könne nicht von einem unzulässigen Eingriff in die Grundrechte ausgegangen werden. Es weist die Beschwerde der Familie vollumfänglich ab.
Beschwerde wurde in Bern zum Politikum
Die Klage der Familie beschäftige auch die kantonale Politik in Bern. Der Grund: Sie wurde im Rahmen der«Human Rights Law Clinic»verfasst. Diese bietet Jus-Studierenden der Uni Bern die Möglichkeit, bereits während des Studiums an realen Fällen zu arbeiten, dies mit dem Fokus auf menschenrechtliche Fragen.
Drei Berner FDP-Grossratsmitglieder kritisierten in einer Interpellation, dass eine kantonale Institution in die Hoheit eines anderen Kantons eingreife. Wie«20 Minuten»damals berichtete, war der Aargauer Regierungsrat über die Einmischung «wenig amused». Die Berner Regierung hingegen sah keinen Anlass, sich beim Aargauer Regierungsrat zu entschuldigen. Man sei aber bereit, mit der Universitätsleitung «die potenziellen politischen Risiken zu erörtern».
Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Uni Bern und Co-Leiter der «Human Rights Law Clinic», stellte damals gegenüber «20 Minuten» klar, die Uni begebe sich nicht auf staatspolitisch heikles Terrain. Vielmehr trage die «Human Rights Law Clinic» zur Durchsetzung der Menschenrechte bei. Im Fall der syrischen Flüchtlingsfamilie ohne Erfolg.