Regen muss her: Das Grundwasser steht im Wiggertal bedrohlich tief
Wahrlich, der Mann hat sicher schon einfachere Zeiten in seinem Job erlebt. Paul Marbach, seit 2009 Geschäftsführer der StWZ Energie AG und gleichzeitig Geschäftsstellenleiter des Grundwasserverbands Wiggertal (GVW). Die Verwerfungen an den Strom- und Gasmärkten sind hinlänglich bekannt, die Grundwasserspiegel auf tiefem Niveau. Und doch wirkt Marbach beim Gespräch über die Wasserversorgung in der Region sichtlich gelassen. «Natürlich liegen die Grundwasserpegel momentan relativ tief, doch vergleichbare Phasen grosser Trockenheit hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben», betont der 56-jährige Elektroingenieur mit betriebswirtschaftlicher Zusatzausbildung. Vom Wasser her sei man in der Region im Hitzesommer 2018 stärker am Limit gewesen. «Die damalige Hitzephase hat sich bis weit in den Sommer 2019 hinein ausgewirkt», sagt er.
Doch unbestritten ist: Der trockene Sommer 2022 hat den Pegel des Grundwasserstroms Wiggertal (Hägeler) stark absinken lassen. Erreichte er im August 2021 mit fast 424 Metern – gemessen beim Grundwasser-Pumpwerk II in der Trinermatten – den Höchststand innerhalb der letzten drei Jahre, so sank er im Dezember bis auf ein Niveau von 420,4 Metern ab. Und lag damit auch unter dem langjährigen Durchschnitt der letzten 20 Jahre, der bei rund 421,6 Metern lag. Wenn man bedenkt, dass der Grundwasserstrom beim Rägelerhof – das ist die Grundwasserfassung der EW Rothrist AG, die auch einen Teil der Gemeinde Oftringen mit Wasser versorgt – eine Breite von rund 400 Metern aufweist, dann ist das eine unvorstellbar grosse Menge Wasser, die aktuell im Grundwasserstrom Wiggertal weniger vorhanden ist als in Zeiten mit mehr Regen und Schnee.
Doch jetzt sollte es wieder aufwärts gehen, weil es im März einige Tage geregnet hat. Könnte man zumindest meinen. «Natürlich hat der Regen Anfang März gutgetan», sagt Marbach, doch von Entspannung könne nicht die Rede sein. Der nasse März-Beginn helfe allenfalls, die Absenkung des Pegels abzuflachen. Oder anders gesagt: Was Blumen und Böden freut, führt noch lange nicht zu einer Anreicherung des Grundwasserspiegels. «Das System reagiert träge auf Niederschläge», betont Marbach. Viel schneller für eine Anhebung des Grundwasserspiegels wirken sich sehr hohe Pegel der Wigger aus. Dann kann viel Wasser ins Grundwasser infiltrieren. Deshalb könne er auch keine mengenmässigen Aussagen machen, wie gross das Niederschlagsdefizit sei. «Wenn die Wigger über 30 Kubikmeter (30 000 Liter) Wasser pro Sekunde führt, dann bringt das in kurzer Zeit viel mehr für den Grundwasserpegel als Niederschläge über mehrere Tage, welche im Frühling bis Herbst häufig durch die Vegetation aufgenommen werden und schon gar nicht ins Grundwasser gelangen», sagt Marbach. Doch auch dieses Wasser fehlt weitgehend.
Was, wenn der Sommer wieder trocken wird?
So träge wie das System reagiert, so langsam fliesst Grundwasser übrigens auch. Vom Napf, wo der Grundwasserstrom entspringt, bis nach Aarburg bewegt sich das Grundwasser mit einer Geschwindigkeit von zehn Metern pro Tag fort. Konkret heisst das: Grundwasser, welches heute in Zofingen gepumpt wird, floss vor einem Jahr langsam unter Reider Boden durch, wie man der Festschrift zum 50-Jahr-Jubiläum des Grundwasserverbands Wiggertal entnehmen kann.
Der Grundwasserstand ist ständig grösseren Schwankungen ausgesetzt und reagiert direkt auf äusserst regenreiche oder sehr trockene Perioden. Aufgrund des trockenen Sommers 2022 und des schneearmen Winters 2022/23 werde nun entscheidend sein, wie viele Niederschläge es bis in den Herbst 2023 geben werde, gibt Marbach zu verstehen. «Wenn mehrere Trockenphasen aufeinander folgen, ohne dass sich die Grundwasserstände nachhaltig erholen konnten, kann dies zu kritisch tiefen Grundwasserständen führen», betont er. Für die Mitglieder des Grundwasserverbands – aktuell gehören ihm neun Gemeinden von Dagmersellen bis Aarburg sowie neun Firmen an – wird es in den nächsten Monaten darum gehen, den Grundwasserstand sehr genau zu überwachen und frühzeitig zu erkennen, ob und wo sich allenfalls ein Engpass ankündige und ob allenfalls der Bezug von Wasser eingeschränkt werden müsse. Der Verband ist jedenfalls gerüstet. «Ein mit den Mitgliedern entwickeltes, gemeinsames Interventionsmodell besteht und kann bei Bedarf zeitnah umgesetzt werden», hält Marbach fest.
Ein Seitenblick auf die Zofinger Wasserversorgung: Das Wasser, mit dem Haushalte, Industrie und Gewerbe in Zofingen versorgt werden, stammt aktuell zu rund 75 Prozent aus dem Hägeler, der Rest ist Quellwasser.
Zofingen will Abhängigkeit vom Hägeler verkleinern
«Wir sind daran, die Abhängigkeit vom Grundwasser zu reduzieren», sagt Marbach. In mehreren Etappen wird das Quellgebiet im Mühlethal über die nächsten Jahre gesamterneuert. Ist die Gesamterneuerung dereinst abgeschlossen, soll die jährlich nutzbare Wassermenge aus dem Mühlethal von heute rund 200 000 bis 300 000 Kubikmetern auf gegen 500 000 Kubikmeter ansteigen. «Mit den Quellsanierungen möchten wir den Anteil des Quellwassers in Zofingen von heute 25 auf gegen 50 Prozent erhöhen», betont der Geschäftsführer des Zofinger Wasserversorgers.
Doch zurück zum Hägeler. Eine langfristige Betrachtung des Pegels zeigt auf, dass der Grundwasserspiegel in der Zeit von 1912 bis 1990 um rund 6,3 Meter gesunken ist. Nach 1990 ist er wieder um einen halben Meter gestiegen, wobei diese Trendumkehr wegen der Niveauschwankungen erst 20 Jahre später als solche erkannt wurde. Nun könnte der Trend wieder nach unten zeigen, wie Marbach vermutet. «Meine Wahrnehmung ist es jedenfalls, dass der Grundwasserpegel seit 2017 tendenziell am Sinken ist.» Zudem habe er auch den Eindruck, dass es in den letzten drei bis vier Jahren stärkere Ausschläge als die Jahre zuvor gab. Deshalb sei ein sorgsamer Umgang mit dem kostbaren Nass unabhängig vom Grundwasserstand gefordert – jetzt und in Zukunft. Er habe den Eindruck, dass die Leute für einen sorgsamen Umgang mit dem Wasser sensibilisiert seien, Industrie und Gewerbe hätten zu einem Teil ihren Verbrauch bereits gesenkt.
Zuversichtlich für das Wasserschloss Schweiz
Trotz aller Unwägbarkeiten rund ums Wasser hält Marbach unmissverständlich fest: «Ich habe keine Angst, dass das Trinkwasser in der Schweiz ausgehen wird.» Man werde im Land immer Lösungen finden, wie Trinkwasser aufbereitet werden könne. Anders könne sich die Situation in Flüssen und Bächen präsentieren. Aber wenn wir so weit kommen würden, dass wir Trinkwasser aufbereiten und nicht mehr genügend dem Grund- oder Quellwasser entnehmen könnten, dann würde Trinkwasser auch deutlich mehr kosten. «Wir haben ein Wasserschloss – und einem Schloss soll man Sorge tragen», bringt er es auf den Punkt. Deshalb sei eine der wichtigsten Aufgaben des Grundwasserverbands neben dem Wassermanagement, beratend und unterstützend zur Seite zu stehen, damit möglichst keine Fremdstoffe wie Pestizide ins Grundwasser gelangen. Schon gar nicht in Grundwasser-Schutzzonen.