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Italiens Hoffnungsträger gibt auf: Mario Draghi erklärt seinen Rücktritt – Staatschef lehnt jedoch ab

Die Regierung von Mario Draghi ist zerbrochen: Nach dem Ausscheren der Fünf-Sterne-Bewegung hat der Premier seinen Rücktritt erklärt. Staatspräsident Mattarella lehnt den Rückzug ab.

«Die Koalition der nationalen Einheit, die diese Regierung getragen hat, gibt es nicht mehr, ebenso das Vertrauen, das bisher die Basis unserer Arbeit war.» So begründete Mario Draghi am Donnerstag gegenüber seinen Ministerinnen und Ministern seinen Rücktritt.

Er habe in den letzten Tagen versucht, den Wünschen der einzelnen Koalitionsparteien entgegenzukommen, so Draghi – «aber wie man anhand der heutigen Vertrauensabstimmung sieht, hat dies nicht ausgereicht». Um die grossen Herausforderungen zu bewältigen, mit denen das Land konfrontiert sei, sei politische Einigkeit in der Koalition unabdingbar – aber diese Bedingung sei nicht mehr erfüllt, erklärte Draghi.

Die Mailänder Börse reagierte auf die Regierungskrise mit Kursverlusten; die Zinsen für italienische Staatsanleihen zogen deutlich an: Die neue politische Instabilität in Rom zeitigt bereits ihre Folgen.

Schicksal in der Hand von Staatspräsident Mattarella

Nach Draghis Rücktritt liegt das politische Schicksal einmal mehr in den Händen von Staatspräsident Sergio Mattarella. Das Staatsoberhaupt lehnte Draghis Rücktritt am Donnerstagabend allerdings ab. Mattarella forderte Draghi auf, dem Parlament Bericht zu erstatten und die Lage zu bewerten, hiess es in einer Mitteilung seines Amtssitzes am Donnerstag.

Sollte das nicht zum Erfolg führen, könnte Mattarella versuchen, mit einem anderen Premier eine sogenannte «Bade-Regierung» zu bilden, die das Land über die Sommerferien bringt, im Herbst den Staatshaushalt beschliesst und dann die regulären Wahlen im Frühjahr vorbereitet. Im Gespräch als mögliche Übergangsregierungschefs sind Ex-Premier Giuliano Amato und Finanzminister Daniele Franco, ein enger Vertrauter Draghis.

Mattarella könnte auch versuchen, Draghi zu überreden, sich im Parlament mit der alten oder einer neuen Koalition einer neuen Vertrauensabstimmung zu stellen – aber es ist wenig wahrscheinlich, dass Draghi dazu Hand bieten wird. Schliesslich könnte Mattarella der Tragikomödie auch ein rasches Ende bereiten, indem er sofort das Parlament auflöst und Neuwahlen ausruft. Diese würden Ende September oder Anfang Oktober stattfinden.

Welche Lösung Mattarella letztlich finden wird – eines steht bereits fest: Selten ist in der langen Geschichte politischer Instabilität in Italien der Zeitpunkt, eine Regierungskrise loszutreten, fahrlässiger gewählt worden als in diesen Stunden: In Europa tobt ein brutaler Krieg, die Corona-Fallzahlen schiessen wieder in die Höhe, es herrscht Energiemangel und Inflation, die Unternehmen leiden unter Lieferengpässen und die Landwirtschaft unter der schlimmsten Dürre seit Menschengedenken.

Dennoch zerbricht die Regierung von Mario Draghi – ausgerechnet an einem Dekret, mit dem die Folgen dieser Mehrfach-Krise mit staatlichen Hilfen in der Höhe von insgesamt 23 Milliarden Euro abgemildert werden sollen.

Auslöser der politischen Krise in Rom ist Giuseppe Conte, Draghis Vorgänger als Regierungschef und inzwischen Anführer der Fünf-Sterne-Protestbewegung. «Die Regierung muss im Kampf gegen die wachsenden sozialen Probleme mehr unternehmen», begründete Conte, warum die von ihm geführte, zweitgrösste Regierungspartei an der Vertrauensabstimmung im Senat nicht teilnahm.

Für diesen Fall hatte Draghi in Aussicht gestellt, dass er als Ministerpräsident zurücktreten werde. «Mit ständigen Ultimaten der Koalitionspartner kann man nicht regieren», erklärte der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, der im Februar 2021 von Staatspräsident Sergio Mattarella als Chef einer Regierung der nationalen Einheit eingesetzt wurde.

Ein gefährlicher Präzedenzfall

Das Ausscheren von Contes Truppe bei einer für das Land derart wichtigen Vertrauensabstimmung war in den Augen Draghis ein gefährlicher Präzedenzfall: In Zukunft könnten auch andere Regierungsparteien den Regierungsgeschäften nach Gutdünken zustimmen oder auch nicht – ein Szenario, auf das sich Draghi aus guten Gründen nicht einlassen will.

Tatsächlich hatte sich auch Lega-Chef Matteo Salvini mehrfach öffentlich gegen Entscheide der eigenen Regierung gestellt. Salvinis Konkurrentin im Rechtslager, Giorgia Meloni, forderte ebenfalls Neuwahlen.

Hintergrund der aktuellen Krise ist der Niedergang der beiden populistischen Parteien in Draghis Koalitionsregierung: Sowohl die Fünf Sterne als auch die Lega hatten bei den Kommunalwahlen von Mitte Juni verheerende Niederlagen einstecken müssen.

Vor allem die Protestbewegung hofft mit der Rückbesinnung auf ihre alten, radikalen Forderungen verlorene Wählerstimmen zurückzugewinnen. So fordert sie unter anderem den Verzicht auf den Bau einer in ihren Augen überflüssigen Müllverbrennungsanlage in Rom. Der geplante Ofen ist ebenfalls in dem Anti-Krisen-Dekret enthalten und war letztlich der wahre Grund dafür, warum die «Grillini» der Vorlage nicht zustimmen wollen.