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Syrerinnen und Syrer sagen, was sie an der Schweiz schätzen – und ob sie jetzt zurückkehren wollen

Rund 28’000 Syrerinnen und Syrer leben in der Schweiz. Watson hat mit drei von ihnen über den Sturz des Assad-Regimes gesprochen und gefragt, ob sie sich eine Rückkehr in ihr Heimatland vorstellen können.

24 Jahre. So lange hat das Regime des Diktators Baschar al-Assad die Syrerinnen und Syrer unterdrückt, vertrieben, eingesperrt, gefoltert und umgebracht. Zählt man die Schreckensherrschaft seines Vaters Hafiz al-Assad hinzu, beträgt die Leidenszeit der syrischen Bevölkerung über ein halbes Jahrhundert.

Nun gelang es verbündeten Rebellengruppen, Machthaber Assad gemeinsam zu stürzen. Nachdem diese zuvor bereits die Städte Aleppo, Hama und Homs erobert hatten, fiel am Sonntag die Hauptstadt Damaskus in ihre Hände. Assad und seiner Familie gelang die Flucht nach Moskau.

Was lösen diese historischen Entwicklungen bei Syrerinnen und Syrern, die in die Schweiz flüchteten, aus? Welche Hoffnungen und Ängste hegen sie gegenüber den Rebellen? Watson hat nachgefragt.

«Assads Sturz war absehbar»

Ghamkin Saleh ist 54-jährig. Um dem syrischen Militär zu entkommen, flüchtete er 1993 aus Syrien in die Schweiz. Saleh, längst eingebürgert, ist Gründer einer erfolgreichen Coiffeurkette und Filmemacher. Das Ende der syrischen Regierung hat er erwartet: «Assads Regime ist eine Bande, eine Mafia. Dass er gestürzt wird, war absehbar.» Denn: «Ohne die Unterstützung des Irans, der Hisbollah und Russland konnte Assad nicht überleben. Sein Militär ist viel zu schwach.»

Die stark angeschlagene Hisbollah, ein abwartendes Iran und das in der Ukraine beschäftigte Russland hätten den syrischen Rebellen in die Karten gespielt, so Saleh. Zudem gebe es grosse Unterschiede zwischen Baschar al-Assad und seinem Vater Hafiz: «Hafiz war, das muss man leider so sagen, ein cleverer Diktator. Baschar ist naiv und dumm.» Sohn Baschar habe die Chance gehabt, mit der eigenen Bevölkerung Frieden zu schliessen, sagt Saleh. Doch diese Möglichkeit blieb ungenutzt.

«Seit 2004 gegen das Assad-Regime gekämpft»

Zu den Geflüchteten gehört auch Ahin Mallamirza. Die heute 38-Jährige hat an der Universität Damaskus ein Kindergarten-Studium absolviert, 2013 musste die Kurdin ihr Land verlassen. «Als Kurden sind wir sehr glücklich über den Sturz dieses Tyrannen und Diktators. Seit 2004, noch vor der arabischen Revolution, haben wir gegen das Assad-Regime gekämpft.»

Ahin Mallamirza hofft nach Assads Sturz auf ein geeintes Syrien.
Bild: zvg

Shukri Al Rayyan ist 2014 aus Syrien in die Schweiz geflüchtet.2011 engagierte sich der Schriftsteller während des arabischen Frühlings, nahm an Demonstrationen gegen das Assad-Regime teil. Letztlich war dies der Grund, der ihn zur Flucht in die Schweiz zwang.

In Syrien zu bleiben, hätte Al Rayyan nach seiner öffentlichen Kritik am Assad-Regime das Leben gekostet. Zur aktuellen Lage sagt der 63-Jährige: «Der Sturz Assads ist ein grossartiger Fortschritt, er war sehr wichtig für das Land. Unter Assad hätte Syrien nie eine Zukunft gehabt.»

Shukri Al Rayyan ist als Schriftsteller tätig.
Bild: Andrea Zahler

«Syrien kann nicht nur von einer Fraktion regiert werden»

Die Zukunft Syriens: Sie ist vollkommen offen. Die verschiedenen Rebellengruppen, die sich im Kampf gegen das Assad-Regime zusammengeschlossen haben, besitzen keine gemeinsamen politischen Ziele, keine einheitlichen gesellschaftlichen Ansichten.

Sie sind ähnlich heterogen wie die syrische Bevölkerung. In Syrien leben Menschen, die sich selbst ethnisch zu den Arabern, zu den Kurden, zu den Armeniern, zu den Turkmenen, zu den Jesiden, zu den Assyrern, zu den Aramäern zählen.

Auch die Religion bildet keinen gemeinsamen Nenner, da die Menschen dem Islam, dem Christen- und dem Drusentum angehören. Daneben leben Tausende palästinensische Flüchtlinge in Syrien.

Die Menschen in Damaskus feiern am 9. Dezember den Sturz des Diktators Baschar al-Assad.
Bild: EPA

Ob es den Rebellengruppen gelingen wird, das multiethnische Land zu stabilisieren, wird sich zeigen. Schriftsteller Al Rayyan hat diesbezüglich eine klare Meinung: «Wir haben Sunniten, Schiiten, Christen, diverse Minderheiten. Syrien kann nicht nur von einer Fraktion regiert werden. Das wird niemals funktionieren.»

Der 63-Jährige beobachtet die Lage in seinem Heimatland jeden Tag, er schreibt als Kommentator für mehrere prominente syrische und arabische Websites. Und vertritt dabei eine eher unkonventionelle Haltung: «Ich bin Atheist und schreibe regelmässig gegen islamistische Gruppierungen.»

Man müsse die Dinge beim Namen nennen, betont Al Rayyan.«Die islamistischen Rebellengruppen sind faschistisch, genauso wie die Mitglieder der Baath-Partei. Sie unterscheiden sich nur in ihrer Ideologie.» Beide Bewegungen stünden für eine einzige, unerschütterliche und heilige Nation, die sie allen mit Gewalt aufzwingen wollten, so Al Rayyan. «Jeder ausserhalb dieser Nation ist entweder ein Feind oder ein Abtrünniger.»

«Führer im Namen eines vereinten Syriens»

Auch Coiffeur-Unternehmer Ghamkin Saleh ist zwiegespalten, was die Zukunft seiner Heimat betrifft. Wie Kindergärtnerin Mallamirza gehört er zur kurdischen Minderheit. Ein Teil der Rebellengruppen, die Assad gestürzt haben, wird von der Türkei und Präsident Erdogan unterstützt.

Für die Syrer, die Assad verfolgen liess, sei sein Sturz eine grosse Erleichterung. Er freue sich mit ihnen, so Saleh. «Gleichzeitig frage ich mich jedoch, wie es für uns Kurden im Land weitergeht.» Das sei der Grund, weshalb er keine Begeisterung verspüre. «Ich habe Angst vor dem, was kommen könnte.»

Ein Kämpfer der Opposition steht mit dem Fuss auf einer zerbrochenen Büste des ehemaligen Syrischen Präsidenten Hafez Assad, Vater von Baschar al-Assad.
Bild: Hussein Malla

Kindergärtnerin Ahin Mallamirza wünscht sich ein Syrien, das alle Syrer unabhängig von Nationalität und Religion umfasst. «Dies geht jedoch nur, wenn keine extremistische Gruppe regiert.» Die 38-Jährige sagt: «Mein Land wird erfolgreich sein, wenn es von Führern im Namen eines vereinten Syriens geleitet wird.»

«Schlimmer als unter Assad kann es nicht werden»

Bilder von der Grenze Syriens zum Libanon zeigten, dass Tausende zuvor geflüchtete Syrerinnen und Syrer nur Stunden nach Assads Sturz zurück in ihr Land reisten. Am Grenzübergang Masnaa standen die Autos am Sonntag Schlange. 14 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs nutzten viele Menschen die erstbeste Möglichkeit, um heimzukehren. Auch wenn viele von ihnen nicht wissen, was sie dort erwartet.

Beim Grenzübergang Al-Masnaa zwischen dem Libanon und Syrien stauen sich die Autos, weil viele Syrierinnen und Syrier zurück in ihr Land möchten.
Bild: EPA

Auf die Frage, ob auch er sich vorstellen könne, eines Tages wieder in Syrien zu leben, antwortet Coiffeur-Unternehmer Saleh: «Das ist eine schöne Frage, ich stelle sie mir jeden Tag.» Die Lage in Syrien müsse sich nachhaltig bessern, dann sei eine Rückkehr für ihn eine Option.

Allerdings habe er eine europäische Frau geheiratet, seine Kinder seien in der Schweiz aufgewachsen. Saleh führt aus: «Schlimmer als unter Assad kann es nicht werden. Für ein stabiles Syrien ohne gegenseitigen Hass wird es jedoch Jahre brauchen, wenn nicht Jahrzehnte. Es braucht eine neue Generation von Menschen.»

Ahin Mallamirza sieht ihre Zukunft – unabhängig der politischen Lage – in der Schweiz. Ihre drei Kinder seien hier zur Welt gekommen und hätten keinen Bezug zum Land und zur Kultur Syriens.

Für Schriftsteller Shukri Al Rayyan blieb die Rückkehr bislang ein Traum. Seit seiner Flucht 2014 war er nicht mehr in Syrien, «das wäre viel zu gefährlich». Ausserdem hat er in der Schweiz eine Sache kennengelernt, ohne die er sich ein Leben nicht mehr vorstellen kann: «Das Wertvollste, das ich in der Schweiz erlangt habe, ist meine Redefreiheit. Diese möchte ich nicht verlieren.»

Ob dies in Syrien für jemanden wie ihn, der den Islamismus stark kritisiere, je wieder möglich sei, könne er zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.