Wo rote Zahlen auch für Erfolg stehen können – Stiftung Lebenshilfe legt Jahresbericht vor
Der Erfolg eines Unternehmens zeichnet sich am Ende des Jahres an der Jahresrechnung ab – sollte man meinen. Bei der Stiftung Lebenshilfe (Lh) in Reinach sieht das ein wenig anders aus. Das Minus von 590’000 (Vorjahr 208’000 Franken Plus) Franken für das Jahr 2023 sind kein Zeichen von Misswirtschaft, sondern eher eines von guter Arbeit. Geschäftsleiter Philippe Crameri erläutert im Gespräch mit der AZ diesen Widerspruch.
Die Stiftung Lh bietet Lebensräume für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigung oder psychischen Erkrankungen (aktuell 366). Ihre Angebote umfassen die Bereiche Bildung, Arbeit und Wohnen.
«Unsere Auslastung bei den geschützten Arbeitsplätzen liegt nur noch bei etwa 90 Prozent», erklärt Crameri. Dies sei in vergleichbaren Einrichtungen auch so, weiss der Lh-Geschäftsführer aus Gesprächen. Das sei eine gesellschaftliche Entwicklung. Crameri räumt ein, dass man dies nicht ganz vorhergesehen habe.
Gesellschaft zeigt mehr Bereitschaft zur Inklusion
Demnach schafften heute mehr Menschen mit leichter Beeinträchtigung den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt und damit heraus aus Einrichtungen wie der Lh. Gleiches gelte für Personen, die eine Invalidenrente beziehen und durch eine berufliche Massnahme wiedereingegliedert werden.
Das unterstreicht einerseits die gute Arbeit solcher Einrichtungen, die ihre Klienten fit machen für den ersten Arbeitsmarkt, aber auch die Bemühungen der Gesellschaft zur Inklusion. Andererseits schlägt die geringere Auslastung negativ zu Buche in der Jahresrechnung.
Damit der eigene Erfolg nicht noch tiefer in die roten Zahlen führt, muss man sich bei der Lh etwas einfallen lassen. «In den Bereichen Logistik und KV gibt es beispielsweise Bedarf für berufliche Massnahmen, solche Arbeitsplätze bieten wir bislang aber nicht an», schildert Crameri. Dort gebe es also die Möglichkeit, neues Potenzial innerhalb der Einrichtung zu schaffen.
Dies sei ein Teil des Strategieprozesses, der im vergangenen Jahr gestartet wurde, erläutert Crameri. Im Herbst soll die Strategie für den Zeitraum 2025 bis 2032 verabschiedet werden, erklärt Andreas Huber, seit Anfang 2023 Stiftungsratspräsident, im Jahresbericht. «Mit der Entwicklung des Bereichs Arbeit beginnen wir in den nächsten Wochen, die Umsetzung startet aber frühestens im 2025», macht Crameri deutlich, dass an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden muss.
«Es wird eine Herausforderung, einige unserer Arbeitsangebote neu auszurichten», weiss der Geschäftsführer. Wie gross der Umbruch tatsächlich werde, müsse sich zeigen. Jedenfalls will die Stiftung in den kommenden Jahren wieder in die Spur finden.
Das Minus in der Jahresrechnung sei nicht schön, aber verkraftbar, so Crameri. «Wir hatten zuletzt auch gute Jahre und in den meisten Bereichen funktioniert die Stiftung sehr gut.» Sorgen mache er sich daher erst mal nicht.
Als Arbeitgeber attraktiv bleiben
Wichtig sei ihm, dass die Stiftung als Arbeitgeber attraktiv bleibe, um die Qualität in der Begleitung sicherzustellen erklärt Crameri. Dies bedeute, dass die Gehälter der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (insgesamt 318) im Vergleich zu anderen Einrichtungen dieser Art auf einem guten Niveau, teilweise sogar über dem Durchschnitt liegen. Ausnahme: Die Gehälter der Kadermitarbeitenden liegen unter dem Durchschnitt. «Die Lh hat im vergangenen Jahr mit der Einführung eines neuen Lohnsystems weiter an der Lohntransparenz und der Lohngerechtigkeit gearbeitet», erklärt Crameri.
Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden, die er in den Gesprächen wahrnehme, hat für Crameri noch mehr Gründe. «Wir fördern die bereichsübergreifende Zusammenarbeit.» Durch dieses Miteinander werde das Verständnis untereinander gefördert, ausserdem könne innerhalb der Stiftung flexibler reagiert werden. Etwa auf einen plötzlichen Ausfall. Die Ausgewogenheit von Freizeit und Arbeit sei ja in vielen Unternehmen ein Thema, auch bei der Stiftung LH. Dem müsse man sich stellen.
Daher sollte auch einSpringer-Pool aufgebaut werden, wie Crameri im November 2022 gegenüber der AZ erklärt hatte. Die Springer sollten plötzlich auftretenden Lücken ausfüllen, damit die vorhandenen Mitarbeitenden nicht stärker belastet werden. Allerdings: «Wenn man mal einen Springer gefunden hat, dann dauert es meist nicht lang, bis dieser fest angestellt wird», schildert Crameri eine Folge des Fachkräftemangels.