
Erdbeerbrand und Entenmuscheln: Auf den Spuren des traditionsreichen Südportugals
Joaquim Nunes Valérios Augen strahlen. «Wir haben insgesamt 3000 Kilogramm Erdbeerbaumfrüchte in unseren Brennhut gekippt und gewartet, bis er den fertigen Medronho in unsere Flaschen spuckt», berichtet der 89-jährige Portugiese auf der Sonnenterrasse seines Hauses in Monchique. Der Chef der Firma Alcaçarias ist Oberhaupt einer von 70 lizenzierten Familien, die den traditionellen Schnaps nach einer Technik aus dem 16. Jahrhundert destillieren. «Schon im August haben wir die roten Früchte unserer hundert Bäume per Hand gepflückt. Wir haben sie sorgfältig ausgewählt und in Holzfässern fermentiert», erklärt Joaquim und zeigt auf eine Tür, den Eingang zur Destillationskammer.

In dem schlichten Raum kommen von Anfang Januar bis Ende März alle Männer des Familienbetriebs zusammen. Sie befüllen den Destillierhelm, bewachen das Feuer und warten – tagelang, nächtelang. «Von dem Erdbeerbrand wird natürlich gekostet, jeder hat etwas zu essen mitgebracht, und sie spielen Karten, damit es nicht langweilig wird.» Tochter Luisa grinst, während sie dieses Prozedere beschreibt. Die 62-Jährige ist, wie alle Medronho-Frauen, für den Verkauf zuständig. Schliesslich wird aus der Erdbeerbaumfrucht nicht nur hochprozentiger Schnaps, sondern auch Honiglikör und Konfitüre hergestellt.
Das 4000-Einwohner-Städtchen Monchique liegt im gleichnamigen Gebirge zwischen den Massiven Fóia und Picota im grünen Hinterland der südwestlichen Atlantikküste. Hier breiten sich Erdbeer- und Eukalyptusbäume neben Stechpalmen, Kamelien und wilden Pfingstrosen aus, leben Otter, Fuchs, Dachs und der Iberische Luchs. Manchmal gleitet einer der seltenen Habichtsadler am Himmel. Touristen kommen wegen der Thermalquellen – schon König João II, der Portugal im 15. Jahrhundert regierte, wusste um die Heilkraft der Caldas de Monchique – und wegen der lokalen Spezialität, dem Erdbeerbrand. Sie bestaunen die simple Technik in einer der alten Familiendestillerien, die gewaltige Auswahl an Produkten im einzigen Laden Loja do Mel e do Medronho, und geniessen den fantastischen Blick vom Aussichtsberg Fóia auf das Gebirge, den Atlantischen Ozean und auf fast zwei Dutzend weite Strände.

Am Sandstrand von Arrifana wachen die Rettungsschwimmer Bruno und Gonçalo Vieira de Camposi über das Wohl der Badegäste. In ihren roten Shorts und knallgelben Shirts sind die Brüder weithin sichtbar. «Im Hochsommer haben wir schon mal 200 Surfer auf dem Wasser. Da muss man ganz schön aufpassen», sagt Bruno. «Das machen wir ab neun Uhr morgens, acht Stunden am Tag, sechs Tage die Woche», ergänzt der zwei Jahre jüngere Gonçalo.
Zwar ist das Meer am Praia da Arrifana ein beliebter Surfertreff, doch auch Familien mit Kindern lieben das Sonnenbad im Schatten der schwarzen Schiefer-Steilküste an der windgeschützten muschelförmigen Sandbucht. Eine einzige Strasse führt im Zickzack hinunter zum 500 Meter langen, goldgelben Sandstrand. Oberhalb thronen die Ruinen einer alten Festung aus dem 17. Jahrhundert mit atemberaubendem Ausblick und dem Restaurant O Paulo, das auf seiner Terrasse frische Canilhas, Meerschnecken, und Mexilhao, Miesmuscheln, serviert.

Arrifana ist ein lebhafteres Fischerdorf mit kleinem Fischerhafen im ansonsten eher stillen Parque Natural do Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina. Das Naturschutzgebiet, das sich über die gesamte Südwestküste Portugals erstreckt, ist besonders bei Wanderern beliebt. Weite Hochebenen wechseln sich mit natürlichen Sandbuchten und Felsküsten ab. Zahlreiche Flüsse münden hier in den Atlantik. Dazwischen immer wieder kleine Ortschaften mit weiss getünchten Häusern, weiss-blauen Kirchlein und Kopfsteinpflastergassen in exponierter Lage auf hohen Felsplateaus.

Anreise:Zum Beispiel mit Swiss oder Edelweiss Air ab Zürich oder mit Easyjet ab Basel direkt nach Faro.
Veranstalter: Studiosus hat eine achttägige me&more-Reise nach Südportugal im Programm (ab circa 1700 Franken,www.studiosus.com), Gebeco bietet eine achttägige Erlebnisreise in die Region (ab circa 1200 Franken, www.gebeco.de), bei Wikinger Reisen lässt sich eine achttägige Wanderreise auf der Rota Vicentina buchen (ab circa 750 Franken,www.wikinger-reisen.de).
Auskünfte:Turismo de Portugal, www.visitportugal.com. Wer mehrere Etappen auf der Rota Vicentina gehen will, kann sein Gepäck zwischen den Orten transportieren lassen (www.vicentinatransfers.pt).

Auf dem Fernwanderweg Rota Vicentina sind jedes Jahr rund 25’000 Touristen und Einheimische unterwegs – so das Ergebnis einer Auswertung der Zähler am Wegesrand. Mit 750 Kilometern ausgeschilderter Strecke durch blühende Dünenlandschaft entlang der naturbelassenen Küste (Fischerpfad) und ins authentische ländliche Landesinnere (Historischer Weg) wurde die Route in den vergangenen Jahren stetig erweitert – ein gelungenes Projekt lokaler Betriebe und staatlicher Institutionen, denen eins gemein ist: die Leidenschaft für die Traditionen und den Naturtourismus in der Region.

Bild: Martina Katz
Hermenegildo Maria Martins hält eine dieser Traditionen aufrecht. «Heute habe ich sieben Kilogramm Percebes gesammelt», verkündet der 64-jährige Fischer. Schon vor Morgengrauen hat er, den alle nur Poeta nennen, sich in seinen Neoprenanzug gezwängt und ist über die rutschigen Meeresfelsen geklettert, um Entenmuscheln mit dem Arrilhada, einer Art Spachtel, von den Felsen zu kratzen.
Nun hockt er auf einem Plastikstuhl vor einem schnörkellosen Raum im kleinen Fischerhafen Entrada da Barca im Örtchen Zambujera do Mar und wartet auf das Ende der mittäglichen Auktion. 20 Männer und eine Frau reihen sich in dem Raum um die Plastikwannen voller Fisch und Meeresfrüchte. Es ist still. José, der Auktionator, gibt einen Verkaufspreis von 20 Euro pro Kilogramm für Hermenegildos Percebes in sein Gerät ein. Dann drückt er eine Taste auf dem Display und die Auktionsuhr startet, rückwärts laufend, der stetig sinkende Preis für alle auf einem Monitor sichtbar. Bei zwölf Euro ruft jemand «Stopp». José hält die Uhr an. Hermenegildos Wanne, gefüllt mit der Meeresdelikatesse, ist verkauft. Ob das ein gutes Geschäft war? Der Fischer lacht. «Es ist in Ordnung», meint er, steckt den Verdienst in die Hosentasche und braust mit seinem Lieferwagen davon.
Am nächsten Morgen wird Hermenegildo wieder über die Meeresfelsen klettern, die krallenartige Meeresfrucht zur Auktion anbieten und damit eine der lokalen Küstentraditionen aufrechterhalten, genauso wie Joaquim Nunes Valério in den Bergen von Monchique.
Hinweis: Diese Reise wurde durch Portugal Tourismus unterstützt.