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Das Kartoffelrätsel: Wie kommt in den Härdöpfel-Sack genau ein Kilogramm ?

Der andere Bauer hat immer die grösseren Kartoffeln. Aber grad so grosse? Ein Kilogramm wollte die Kundin kaufen und dann kullerten drei Bio-Riesendinger eines spanischen Bauern aus dem Sack. Drei.

Das Schälen ging fix. Aber während das Ventil des Dampfkochtopfs zu fauchen begann, fragte sich die Kundin: Wer hatte im Kartoffelberg drei Knollen gefunden, die zusammen ein Kilo ergaben? 1015 Gramm hatte die Küchenwaage angezeigt. Zusammengesetzt aus 252, 364 und 399 Gramm.

Anfrage bei den Grossverteilern, wie die Kartoffelpackungen eigentlich abgewogen werden. Klar, mit einer Maschine, aber wie genau? Coop lädt ein zu einem Besuch vor Ort bei Steffen-Ris. Die Firma gehört zur grossen Schweizer Agrargenossenschaft Fenaco und füllt für Coop und andere Detailhändler in Bätterkinden bei Solothurn Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln ab. Objekt des Interesses: die Mehrkopfwaage.

Die neuste Mehrkopfwaage mit zwölf Waagschalen: Danach öffnet sich genau die richtige Klappen-Kombination.

Im Herbst bringen die Bäuerinnen und Bauern der Umgebung die Kartoffeln nach Bätterkinden, wo sie in Dunkelheit bei 4 Grad gelagert werden, bis jemand Lust auf Rösti, Gschwellti oder Raclette hat. Geschäftsleiter Jörg Schär sagt, der Kartoffelkonsum sei übers Jahr hinweg konstant, erhöhe sich aber jeweils vor dem Wochenende und vor Feiertagen. Und so arbeiten die 80 Angestellten bei Steffen-Ris von Montag bis Samstag in zunehmender Intensität: Montags ist manchmal schon um 14 Uhr Feierabend, freitags um 17 Uhr und am Samstag muss auch noch ein halber Tag gearbeitet werden. «Bis alle Aufträge erledigt sind», sagt Schär.

Geschäftsleiter Jörg Schär (l.) und Peter Wüthrich, technischer Leiter von Steffen-Ris.

Die Waagschale schafft den perfekten «Match»

Die Fluktuation unter den Angestellten ist tief, alle kommen aus der Region, manchmal ganze Familien, 60 Prozent Migrantinnen und Migranten. Sind auch Bauern darunter, die dazuverdienen wollen? «Selten», sagt Schär, «Bäuerinnen und Bauern sind es sich gewohnt, ihrem eigenen Rhythmus zu folgen. Unsere durchgetaktete Fliessbandarbeit ist das komplette Gegenteil.» Und doch hat die Automatik ihre eigene Faszination. Das findet besonders der technische Leiter, Peter Wüthrich. Manchmal klingelt schon um 6 Uhr, wenn die Roboter und Packmaschinen anlaufen sollten, sein Telefon. Aber wir wollten zur Mehrkopfwaage, und die, sagt Wüthrich, mache kaum Faxen. Mal eine verklemmte Kartoffel, mehr nicht. Und clever ist sie.

So funktioniert’s: Die Kartoffeln werden auf zwölf Kanäle aufgeteilt. Diesen holpern sie entlang zu den zwölf Waagschalen.

Wie viele Kartoffeln in eine Schale fallen, entscheidet ein «Finger», der runterfällt, wenn genug drin sind, oder noch mal hoch geht, wenn eine Kartoffel fehlt. Abschneiden ist verboten. Die Waagschalen sind so programmiert, dass immer drei bis fünf zusammen das gewünschte Gewicht ergeben: Bei einem Ein-Kilo-Sack versucht also jede Schale plus/minus 250 Gramm Kartoffeln zu fassen und die Software rechnet aus, welche Kombination aus den 12 Schalen am genausten ein Kilo ergibt –also den «perfect match».

Kaum sausen die Kartoffeln Richtung Packmaschine, kommt das nächste fast exakt berechnete Kilo hinterher. Rund 15 Gramm zu viel sind es meistens – dies aber vor allem, weil die Kartoffeln im Laden noch an Feuchtigkeit und somit Gewicht verlieren. Ab und zu rätseln Kundinnen, ob es stimmt, dass jeder Sack genügend schwer ist – und wägen nach. Selten erhält dann Coop eine Reklamation. Die hänge, sagt Melanie Grüter von der Coop-Medienstelle, eigentlich immer damit zusammen, dass die Kartoffeln zu viel Feuchtigkeit verloren hätten.

Das Rätsel der drei Monsterkartoffeln, von denen eine 12 Zentimeter lang war, kann hier nicht ganz geklärt werden, aber es ­waren ja auch spanische. Eine Schweizer Standardkartoffel misst nämlich 4,2 bis 7 Zentimeter Durchmesser. «Grössere packen wir zum Beispiel zu Grillkartoffeln ab, kleinere werden Raclettehärdöpfel», sagt Schär. Dann gibt es noch Prix Garantie mit einer grösseren Kartoffelvielfalt, andere werden direkt zu Kartoffelprodukten verarbeitet, Unförmige bei Coop unter dem Label Ünique verkauft, solche mit grossen Flecken Tieren verfüttert und was zu grün oder sonst nicht brauchbar ist, zu Biogas vergärt.

Die Sortiermaschine ist clever: Drei Kameras erfassen jede einzelne Kartoffel und teilen sie in sieben Kategorien ein.
Danach kommt jede Kartoffel in die entsprechende Kategorie: Weil die Klappe sie an der richtigen Stelle fallen lässt. Hier unscharf sichtbar, weil unter einer Abdeckung.

In sieben Kategorien sind die Kartoffeln deshalb sortiert, bevor sie zur Abpackstelle kommen. Die Sortiermaschine ist die eigentliche Hightech-Anlage. Dort wird jede Kartoffel von einer Kamera registriert und dann den Kategorien zugeordnet nach Grösse und Qualität. Die Kamera merkt sich, an welcher Position die Kartoffel liegt, und lässt sie weiter hinten auf dem Förderband genau an jener Stelle durch Klappen fallen, wo sie hingehört. Nur Kartoffeln mit einem Qualitätslabel müssen noch von Menschenauge geprüft werden.

Katoffeln mit Qualitätslabel werden noch von Menschenauge nachsortiert.
So ist die Verarbeitungsstrasse angeordnet: Kartoffeln nach der Waschstrasse (links). Sortiermaschine ganz rechts, Qualitätskontrolle in der Mitte.

Die Kartoffelsäcke sind ein verlässliches, fixes Mass

«Der technologische Fortschritt bestimmt unsere Zukunft», sagt Schär. «Ausserdem gibt es nicht mehr so viele Leute, die in einer lauten Fabrikhalle arbeiten wollen.» Aktuell kostet ein Roboterarm, der den Kartoffelsack auf ein Palett hievt, zwar noch mehr als die Arbeit eines Menschen. Trotzdem ist man bei Steffen-Ris froh um den Roboter, der schwere Arbeit erspart. Wobei: Die ganz schweren 10-Kilo-Säcke mit den ungewaschenen Lagerkartoffeln gibt’s nicht mehr. Die meisten Haushalte haben keinen Gemüsekeller mehr. Und Schär findet: «Ungewaschene Kartoffeln, auch wenn sie länger haltbar sind, ärgern mit ihrem Staub schon beim Ausladen aus dem Auto.»

Die Mehrkopfwaage aber ist keine neue Erfindung. Nur die Software wurde immer besser. Die ältesten Modelle ordnen schon seit 30 Jahren Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln in perfekte Gruppen. Warum eigentlich? Äpfel, Birnen oder Fleisch haben jeweils unterschiedliche Gewichte pro Schale. Woher kommen die fixen Masse bei Kartoffeln und Karotten? «Bei den Verpackungsgrössen richten wir uns nach den Bedürfnissen unserer Kundinnen und Kunden», heisst es dazu von Coop schlicht. Was man übersetzen könnte mit: Ein Kilo Kartoffeln sind ein Kilo Kartoffeln. Ein fixer Wert zwischen grossen, kleinen und ständig ändernden Produkten.