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Mit Spenden aus der Schweiz: Ich wollte ein Geschenk in die Ukraine bringen, doch das erwies sich als beinahe unmöglich

Zum zweiten Mal feiert die Ukraine Weihnachten im Dezember statt wie früher im Januar: Eine Hinwendung zu Europa. Unser Reporter versuchte, ein Geschenk über die Grenze zu bringen. Und erlebte, worunter viele Ukrainer leiden: Gnadenlose Bürokratie.

Was tut man, wenn sich jemand bei der Annahme eines Weihnachtsgeschenks ziert? Wenn bürokratische Hürden aufgestellt werden, die jede Freude am Beschenken vergällen? Wir stehen am ukrainischen Grenzübergang von Diakowo und warten auf die Zollabfertigung.

Während normale Reisende in der Regel schnell kontrolliert sind, dauert es bei der Einfuhr humanitärer Hilfe etwas länger. Wir sind mit zwei Fahrzeugen unterwegs, von denen eines als Spende für eine medizinische Hilfsorganisation in Kramatorsk im Osten der Ukraine bestimmt ist.

Im Innenraum befinden sich sechs grosse Kartonschachteln mit Infusionslösungen, Spritzen und Verbandsmaterial. Hinzu kommt ein alter Autoklav zur Sterilisierung medizinischer Instrumente – alles Sachspenden aus der Schweiz. Das ukrainische Hilfswerk hat uns die Importpapiere geschickt, die wir jetzt dem Zollbüro zur Prüfung vorlegen.

Papier ist wichtiger als Hilfe

Wie immer in Diakowo haben humanitäre Helfer und Lastwagenchauffeure in einem Vorzimmer zu warten, das von einem bestialischen Uringeruch durchdrungen ist. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Plumpsklo gleich nebenan permanent von einer Putzfrau gereinigt wird.

Der üble Geruch gehört genauso zur Abfertigung wie das meist mürrische Verhalten der Grenzbeamten. Hinter einer Tür vor Kälte und Gestank geschützt, machen die Zöllner in einem gut geheizten Büro Dienst nach Vorschrift.

Das für Kramatorsk vorgesehene Spendenauto an einer ukrainischen Tankstelle.
Bild: Raimond Lüppken

Einer der Chefs will nun sehen, was wir an Waren in dem Spendenfahrzeug mitführen. Der Zöllner sieht sich nur einen der sechs Kartons oberflächlich an, der Inhalt interessiert ihn überhaupt nicht. Was ihn interessiert, ist einzig und allein, dass die Schachteln in der Zollerklärung nicht vermerkt sind – und auch der Autoklav nicht. «Die sind doch für ein Spital in Kramatorsk bestimmt», sage ich in fehlerhaftem Ukrainisch. Aber das interessiert noch viel weniger. Für den Bürokraten zählt einzig das Papier und was dort vermerkt ist.

Warten auf Godot

Ein anderer Zöllner kommt hinzu. Ihm ist es offenbar peinlich, wie wir behandelt werden. Er telefoniert mit dem ukrainischen Hilfswerk und meint danach, es sei nur eine Sache von ein paar Minuten, die Zolldeklaration zu ergänzen, eine reine Formalität. Also warten wir draussen an der Sonne. Auf der Gegenfahrbahn steht ein Kleinbus mit Ukrainerinnen, die nach Rumänien ausreisen wollen. Offenbar stimmt bei ihren Papieren etwas nicht, darum müssen auch sie warten.

Nach drei Stunden sind die Ukrainerinnen immer noch nicht ausgereist. Meine Geduld ist nun am Ende, und ich rufe das Hilfswerk an, um zu fragen, was denn los sei. Die Ukraine ist ja stark digitalisiert. Doch ausgerechnet heute ist die Website mit dem eingängigen Namen «Diia» (Ukrainisch für «Aktion») offline, wie mir erklärt wird.

Diia ist die ukrainische Abkürzung für «Der Staat und ich». Von Aktion bemerken wir allerdings nichts, dafür geht uns der Staat ganz gehörig auf die Nerven. Am Ende ist es innert nützlicher Frist nicht möglich, die «kleine Formalität», das Aktualisieren der Zolldeklaration, durchzuführen.

Nun spreche ich nochmals mit dem Chef und sage ihm, dass ich nach Rumänien zurückfahren und dort sämtliches medizinisches Material der erstbesten Klinik schenken werde. Der Zöllner lässt sich aber nicht erweichen. Er ist ja auch rund 1100 Kilometer von der Front entfernt und keine unserer Infusionen wird ihm das Leben retten müssen. Dumpf schweigend gibt er uns Pässe und Zolldeklaration zurück.

«Mit Drogen und Alkohol haben sie kein Problem»

Am rumänischen Grenzposten lassen die Zöllner kein gutes Haar an ihren ukrainischen Kollegen: «Die sind so was von dumm, ihr kommt ihnen helfen, und sie haben nichts Besseres zu tun, als euch Steine in den Weg zu legen», sagt der eine auf Englisch. Und sein älterer Kollege fügt hinzu: «Mit dem Drogen- und Alkoholschmuggel haben sie kein Problem, aber mit humanitärer Hilfe schon.»

In Halmeu, dem nächsten rumänischen Dorf, frage ich in der Apotheke um Rat. Der Mann hinter der Theke ist hilfsbereit: «Sie sind schon der zweite mit diesem Problem», erzählt er. «Vor kurzem war ein Österreicher hier, den liessen die Ukrainer mit seinen Hilfsgütern ebenfalls nicht über die Grenze.» Am Telefon löst der freundliche Apotheker unser Problem schnell und stellt uns Minuten später dem lokalen Landarzt vor. «Er versorgt ein Gebiet mit rund 10’000 Einwohnern und ist sehr dankbar für eure Spende.» Und so landen die rund 100 Kilogramm medizinischen Materials und der Autoklav in Rumänien statt im Kriegsgebiet bei Kramatorsk.

Nun ist die Zolldeklaration für das leere Spendenfahrzeug wieder korrekt, und Minuten später werden unsere Papiere am ukrainischen Zoll abgestempelt.

Verlangsamter russischer Vormarsch

Für dieses Fiasko gibt es später eine kleine Entschädigung: Hunderte Kilometer weiter im Landesinnern, auf der Autobahn Richtung Kiew, springt ein Polizist in der Dunkelheit plötzlich auf einen Fussgängerstreifen, eine rote Kelle in der Hand. Das Spendenfahrzeug war eben noch mit ungefähr 110 Kilometern pro Stunde unterwegs, und fast hätte ich den Mann überfahren. Erlaubt wären wegen des Fussgängerstreifens aber nur 50 Kilometer pro Stunde. «Sie sind etwas zu schnell gefahren», meint der Polizist und will die Papiere sehen.

Solange der Strom fliesst: Vorweihnachtszeit in Kiew.
Bild: Raimond Lüppken

Als ich ihm den Zürcher Fahrzeugausweis zeige, sieht er den ukrainischen Zollstempel. Dann liest er sich die Zolldeklaration durch und erkennt, dass das Auto als Geschenk für ein ukrainisches Hilfswerk gedacht ist. Seine Miene hellt sich auf. Er möchte nur noch sicherstellen, dass sich im Kofferraum keine Waffen befinden. Dann bedankt er sich für unsere Hilfe und lässt uns gehen.

Auf dem langen Weg nach Kiew treffen wir Bogdan, einen Offizier, der in der russischen Region Kursk kämpft und gerade Kurzurlaub in der Heimat verbringt. Wir kennen ihn von früheren Besuchen. Bogdan ist aschfahl und sieht erschöpft aus. Er erzählt von den russischen Angriffen mit Drohnen und Artillerie. Inzwischen hatte seine Einheit auch erste Gefechte mit den in Kursk kämpfenden nordkoreanischen Soldaten. «Die haben grosse Angst und sind bisher keine grosse Hilfe für die Russen», meint er.

Ein Geschäft in Odessa ist auf einen privaten Stromerzeuger angewiesen.
Bild: Raimond Lüppken

Dennoch bleibt die Lage insgesamt schwierig. Allerdings haben sich die russischen Gebietsgewinne innerhalb der Ukraine im Vergleich zum November von rund 25 Quadratkilometern pro Tag auf nur noch 16 Quadratkilometer verringert. Dazu dürfte der Wintereinbruch ebenso beigetragen haben wie die Tatsache, dass die Russen viele ihrer Kampfjets auf Basen weiter im russischen Hinterland verlegen mussten. Damit versucht Moskau, seine Flugzeuge am Boden vor ukrainischen Angriffen mit westlichen Lenkwaffen und selbst gebauten Drohnen zu schützen. Parallel dazu melden die Ukrainer einen auffälligen Rückgang der Luftangriffe mit russischen Gleitbomben.

Stromerzeuger als Helfer in der Not

Kurz vor Kiew taucht neben der Autobahn ein riesiger, hell beleuchteter Weihnachtsmarkt auf. Hunderte von Autos sind daneben geparkt. Die Szene wirkt surreal, denn im Umland ist kaum Licht auszumachen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell die ukrainischen Techniker die Schäden an den Elektrizitätsnetzen beheben, die durch die gezielten russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur entstehen.

Ein Weihnachtsgeschenk der besonderen Art hat das Nationale Filmmuseum der Ukraine erhalten, das in einer ehemaligen sowjetischen Filmfabrik einquartiert ist. Dank Spenden von Zeitungsleserinnen und -lesern konnte mein Hilfswerk Swiss UAid insgesamt 53 Dieselgeneratoren beschaffen, die zur weiteren Verteilung nach Kiew und Odessa transportiert wurden. In diesem Fall gab es keine Probleme am Zoll, und so kann sich Olena Hontscharuk, die Direktorin des Museums und Filmarchivs, nun darüber freuen, künftig gegen Stromausfälle gewappnet zu sein. Das weitläufige Museum ist nun mit zwei Generatoren ausgestattet, die mit Schweizer Spenden finanziert wurden.

Ein ukrainisches Notspital hat einen von Schweizer Spenden finanzierten Generator erhalten.
Bild: zvg

Als Lebensretter können Stromerzeuger wirken, die in Notkrankenhäusern in Gebieten nahe der Front eingesetzt werden. Dort gibt es gewöhnlich keine Elektrizität mehr. So schickt uns das Personal eines kleinen Spitals im Oblast Donezk ein Foto von einem unserer Generatoren. Dieser stellt nun sicher, dass weder medizinische Geräte noch die Beleuchtung während Operationen ausfallen. Die Menschen im östlichen Kriegsgebiet zieren sich nicht, wenn sie Hilfsgüter erhalten – weder an Weihnachten noch sonst.