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Appenzell Ausserrhoden schafft das Frühfranzösisch ab – ist das jetzt der Dammbruch?

Andere Kantone waren schon einmal so weit, jetzt hat Appenzell Ausserrhoden es getan: Ausserrhoder Kinder sollen erst in der Sekundarschule Französisch lernen. Auch in der restlichen Deutschschweiz gärt das Thema Frühfranzösisch vor sich hin.

Die Frage beschäftigt nicht nur Beamte, sondern auch Menschen in Politik, Bildung und Wissenschaft seit langem: Sollen Schülerinnen und Schüler ab der Primarstufe Französisch lernen oder erst ab der Oberstufe? Das meistzitierte Argument für Frühfranzösisch ist, dass Kinder davon profitieren, wenn sie möglichst früh mit Fremdsprachen in Berührung kommen. Zudem ist das Teil eines Kompromisses der viersprachigen Schweiz und steht für den Zusammenhalt über den Röstigraben hinweg.

Gegner und Gegnerinnen sehen vor allem schwächere Kinder benachteiligt, wenn sie schon in der Primarstufe drei Fremdsprachen lernen müssen – denn auch Hochdeutsch ist für Schweizer Kinder keine Muttersprache. Dass die Pisa-Studie bei Schweizer Schulkindern mangelnde Grundkompetenzen in Mathematik und Deutsch feststellte, bestärkt diese Ansicht.

Appenzell Ausserrhoden fasst das Tabu an

Jetzt hat der Ausserrhoder Kantonsrat Nägel mit Köpfen gemacht: Zwar wollte der Vorsteher des dortigen Bildungsdepartements noch etwas Zeit schinden, um eine umfassende Analyse durchzuführen. Doch die Ausserrhoder nahmen mit 37 zu 26 Stimmen die Motion an.

Bis anhin haben die Ausserrhoder Schulkinder wie alle Ostschweizer im Sinne der harmonisierten obligatorischen Schule («Harmos-Konkordat») ab der 3. Klasse zuerst Englisch und ab der 5. Klasse Französisch gelernt. Appenzell Innerrhoden hat das jedoch nie umgesetzt, und Ausserrhoden verschiebt Französisch jetzt auch in die Sekundarschule. Die Motionäre schreiben, dass sie nicht gegen Französisch seien, sondern «für das Erlernen von Grundkompetenzen in Kernfächern Mathematik und Deutsch».

Sie beziehen sich auf zunehmende Klagen aus Lehrbetrieben, laut denen «die Grundkompetenzen der Schülerinnen und Schüler in den Kernfächern Mathematik und Deutsch erheblich zu wünschen übrig lassen», wie es im Motionstext steht. Die durch das Abschaffen von Frühfranzösisch frei werdenden Lektionen sollen der Verbesserung dieser Fähigkeiten dienen.

FDP und SVP unterstützten die Motionen, die SP stellte sich mehrheitlich dagegen. Die parteiunabhängige Fraktion und die Mitte/EVP/GLP-Fraktion waren sich uneins.

Der Thurgau war schon einmal fast so weit

Nun stellt sich die Frage, ob dieser erste Schritt zum Dammbruch führt, denn unter anderem auch Aargau, Zürich, Thurgau, St.Gallen und sogar der zweisprachige Kanton Bern befassen sich derzeit mit der möglichen Streichung des Frühfranzösisch.

Vor über zehn Jahren hatte ein Ostschweizer Kanton schon einmal am Schweizer Sprachkompromiss gerüttelt: 2014 hatte das Thurgauer Kantonsparlament dafür gestimmt, das Frühfranzösisch abzuschaffen. Das löste einen schweizweiten Aufschrei aus. Der Beschluss wurde 2017 sehr knapp mit 62 zu 60 Stimmen wieder gekippt. Stattdessen wurden Massnahmen zur Verbesserung des Französischunterrichts ergriffen.

Seit Ende Februar ist die Abschaffung auch im Thurgau wieder auf dem Tisch: Die Mitte/EVP-Fraktion hat Ende Februar eine Motion eingereicht, die ebenfalls Französisch in die Sekundarschule verbannen will.

Die FDP treibt das Thema voran

Die Freisinnigen haben das Thema sogar in ihr nationales Positionspapier zur Bildung aufgenommen. Darin erklären sie, dass eine Zweit- oder Fremdsprache erst erlernt werden soll, wenn die Kompetenzen in der Muttersprache genügen. Sie rütteln damit am Schweizer Sprachkompromiss und zeigen in mehreren Kantonen, dass sie es ernst meinen.

So hat die FDP in St.Gallen gemeinsam mit SVP, Mitte/EVP und SP/Grüne/GLP in diesem März eine Motion eingereicht, die Französisch auf die Oberstufe verschieben möchte. Und auch die Aargauer FDP forderte im Juli, das Frühenglisch und Frühfranzösisch in der Primarschule zu streichen. Konkret will die Aargauer FDP, dass Primarschülerinnen und -schüler nur in einer Frühfremdsprache unterrichtet werden dürfen, wenn sie ausreichende Deutschkenntnisse beweisen. Alle anderen sollen zusätzlichen Deutschunterricht erhalten.

Im Gegensatz zu Appenzell Ausserrhoden konnte der Aargauer Regierungsrat jedoch Zeit schinden: Während der Sitzung des Regierungsrates im vergangenen November wurde die Motion in ein Postulat umgewandelt, um das Anliegen noch einmal eingehender zu prüfen.