Rückenwind für Grenzschutz-Gegner: Frontex-Direktor Fabrice Leggeri kurz vor Rücktritt
Die Frontex-Abstimmung in rund zwei Wochen schien geritzt: Rund 60 Prozent der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wollen laut den letzten Umfragen ein Ja einlegen und den Ausbau der EU-Grenzschutzagentur trotz Vorwürfen wegen Menschenrechtsverletzungen befürworten.
Doch jetzt kommt nochmals Zug ins Dossier: Frontex-Direktor Fabrice Leggeri soll kurz vor dem Rücktritt stehen. Das berichtet die Nachrichtenplattform «Politico» mit Verweis auf mehrere informierte Personen. Frontex-Gegner in der Schweiz dürften sich freuen und sich in ihrer Kritik am obersten Grenzschützer Europas bestätigt fühlen.
Illegale Pushbacks, Mobbing, versteckte Lobby-Treffen
Der 54-jährige Franzose steht wegen seiner Amtsführung schon seit Jahren unter Beschuss von linken Parteien und Menschenrechtsorganisationen. Seiner EU-Grenzschutzbehörde wird vorgeworfen, illegale Pushbacks, also menschenrechtswidrige Rückweisungen von Schutzsuchenden an Europas Aussengrenzen hingenommen zu haben. Spätestens seit November 2020 mehrten sich die Medienberichte über teils gewalttätige Pushbacks, unter anderem in der Ägäis und an den EU-Aussengrenzen auf dem Balkan.AUCH INTERESSANT
Auch wenn die Frontex-Grenzschützer selbst nicht an den Rückweisungen beteiligt gewesen sein sollen, so hätten sie doch nichts zu deren Verhinderung unternommen. Leggeri selbst wird vorgeworfen, entsprechende Berichte ignoriert und bewusst weggeschaut zu haben. Auch muss er Vorwürfe wegen Mobbing und versteckten Treffen mit der Rüstungsindustrie gewärtigen. Die Anti-Betrugsbehörde der EU Olaf führte im Dezember 2020 eine Razzia im Büro des Frontex-Chefs durch und erstellte einen über 200 Seiten langen Bericht, der bis anhin geheim gehalten wird.
Nach erneuten Vorwürfen: Leggeri stellt sein Amt zur Disposition
Diese Woche veröffentlichten mehrere Medien neue Recherchen. Demnach hat Frontex zwischen März 2021 und September 2022 in mindestens 22 Fällen die illegale Rückweisung von 957 Migranten durch die griechische Küstenwache falsch eingestuft und damit mutmasslich vertuscht. Laut einem Bericht des «Spiegels» und anderen europäischen Medien hätten die Griechen Migranten aus der Türkei auf dem offenen Meer zurückgewiesen und in Booten ohne Motor oder Rettungsinseln sich selbst überlassen. Frontex jedoch stufte diese Vorfälle nicht als Pushbacks, sondern als «prevention of departures», also als «verhinderte Ausreisen» ein.
Jetzt soll Leggeri dem Frontex-Aufsichtsrat seine Demission angeboten haben. Weitere Entwicklungen sind für diesen Freitag erwartet.
Breite Koalition aus SVP, FDP, Mitte und Grünliberalen ist gegen Frontex-Nein
Die Schweiz beteiligt sich mit finanziellen Beiträgen und Personal an Frontex. Mit dem Ausbau, über den am 15. Mai abgestimmt wird, steigt der Schweizer Beitrag von jährlich 24 Millionen Franken auf 61 Millionen. Neu sollen bis zu 40 Grenzschützer aus der Schweiz an die EU-Aussengrenzen geschickt werden.
Die eidgenössische Zollverwaltung betonte in früheren Stellungnahmen stets, dass sich Schweizer Grenzschützer nicht an illegalen Rückweisungen beteiligen würden und falls sie solche beobachteten, hätten sie regelkonform Rapport zu erstellen.
Das Referendum gegen die Frontex-Vorlage ergriffen hat das Schweizer «Migrant Solidarity Network». Unterstützt wird es von SP, Grünen und verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Der Bundesrat und eine breite Koalition aus FDP, Mitte, GLP und der SVP sagen Ja zum Frontex-Ausbau. Bei einem Nein stünde die Mitgliedschaft der Schweiz beim grenzfreien Schengenraum auf dem Spiel, warnt Justizministerin Karin Keller-Sutter.