Winzer Andreas Meier löst Ruth Humbel im Nationalrat ab – diese will zuerst noch die AHV-Schlacht gewinnen
Selten wurde um einen Rücktritt einer Aargauer Politikerin eine solche Geheimniskrämerei gemacht wie bei Ruth Humbel (Die Mitte). Als die AZ die langjährige Nationalrätin (seit 2003) im März zu Recherchen befragen wollte, wonach sie noch dieses Jahr ihrem Parteikollegen Andreas Meier Platz machen würde, wollte sie partout nichts dazu sagen.
Auch Parteipräsidentin Marianne Binder konnte nicht weiterhelfen. Es liege nicht in ihrer Kompetenz, einen solchen Rücktritt zu kommentieren, richtete sie aus. Etwas mehr preis gab Andreas Meier als Nutzniesser eines vorzeitigen Rücktritts von Humbel: Der Klingnauer Winzer eröffnete damals, er trete im Sommer als Grossrat zurück und habe in Aussicht, als Nationalrat nachzurücken. Meier landete bei den Nationalratswahlen 2019 auf dem ersten Ersatzplatz der Mitte-Liste (hinter den gewählten Humbel und Binder).
Nachdem die AZ ihre Recherchen am 14. März veröffentlichte und festhielt, Humbel gebe ihren Sitz demnächst Andreas Meier ab, wollten das einige Parteikolleginnen im Bundeshaus nicht wahrhaben. «Fake News! NR Ruth Humbel tritt nicht zurück!», twitterte etwa die Luzerner Mitte-Ständerätin Andrea Gmür. Humbel selber dementierte zwar ihre Rücktrittspläne nicht, streute aber Zweifel am Artikel, wenn sie im Bundeshaus darauf angesprochen wurde, und hüllte sich öffentlich weiterhin in Schweigen.
Humbels Rücktritt nach AHV-Abstimmung
Über drei Monate später lässt Andreas Meier seiner Ankündigung nun Taten folgen. Der Zurzibieter liess am Dienstagmorgen durch Grossratspräsidentin Elisabeth Burgener sein Rücktrittsschreiben aus dem Grossen Rat verlesen. Er werde eine neue Aufgabe als Nationalrat in Bern übernehmen. Seine Nachfolgerin im Grossen Rat wird Monika Baumgartner (Tegerfelden). Er dürfe für Ruth Humbel nachrutschen, sagte er auf Anfrage der AZ.
Auch die Parteispitze bestätigt nun erstmals den Wechsel in Bundesbern. Alfons Kaufmann, Fraktionspräsident der Mitte im Grossen Rat, sagt auf Anfrage: Andreas Meier werde im Nationalrat für Ruth Humbel nachrücken, die vorzeitig zurücktritt. «Der Zeitpunkt ist allerdings noch nicht ganz klar definiert», betont Kaufmann, «sicher nicht vor der AHV-Abstimmung vom 25. September.»
Ruth Humbel hat vor, sich im Abstimmungskampf für ein Ja zur AHV-Revision nochmals richtig ins Zeug zu legen. Die erfahrene Gesundheits- und Sozialpolitikerin will dem Nationalrat nicht den Rücken kehren, bevor sie nochmals alles gegeben hat, um der AHV-Revision zum Durchbruch zu verhelfen. Im Kern geht es bei der Vorlage um eine Angleichung des Rentenalters auch für Frauen auf 65. Linke und Gewerkschaften haben gegen diese Reform das Referendum ergriffen.
Was, wenn das Volk die Reform versenkt? Macht Humbel dann entgegen parteiinterner Ankündigung vielleicht doch noch weiter? Wenn es nach Parteikollegin Gmür geht, unbedingt. Sie twitterte nach dem AZ-Artikel im Frühling: «Hoffe, dass ihr Know-how uns mit der Erhöhung des Rentenalters noch mindestens bis 70 erhalten bleibt!» Theoretisch ist das möglich. Ihre Partei, die Mitte Aargau, kennt keine Amtszeitbeschränkung in den Statuten. Humbel könnte also nicht nur die Legislatur beenden, sondern auch 2023 nach 20 Amtsjahren nochmals kandidieren. Theoretisch.
Davon geht Andreas Meier aber nicht aus. Er rechnet fest damit, noch dieses Jahr in den Nationalrat zu wechseln. Noch in der Herbstsession, die bis 30. September dauert? «Das wäre das Ziel», so Meier, «sonst erfolgt meine Vereidigung halt erst in der Wintersession, die am 28. November beginnt.»
Winzer Meier kann 2023 als Bisheriger antreten
Meier wird thematisch nicht in Humbels Fussstapfen treten. «Ich bin kein Gesundheitspolitiker», sagt Meier: «Ich möchte mich vorab für Wirtschafts-, Verkehrs-, Forschungs- und Bildungsfragen engagieren.» Winzer Meier, auch aktiv als Vizepräsident des Aargauischen Gewerbeverbandes, hofft, dass es dann in den Kommissionen im Nationalrat zu einer Rochade in seinem Sinn kommen könnte.
Wer während einer Legislatur für eine Parteikollegin nachrücken kann, hat in der Regel einen Startvorteil als «Bisheriger »bei den nächsten Wahlen. Darum ist es für Meier «selbstverständlich», dass er zu den Nationalratswahlen 2023 antritt. «Ich gehe dann voll in den Wahlkampf und hoffe natürlich, mindestens eine oder besser zwei Legislaturen in Bern für Die Mitte politisieren zu dürfen.»
Nationalrätin Ruth Humbel selber war für eine Stellungnahme zum Thema bis dato nicht erreichbar.