Krisengewinnler oder Krisenhelfer? Deutschlands Waffenschmieden profitieren vom Krieg
Kaum eine Branche wird von der Öffentlichkeit so kritisch beäugt wie die Rüstungsindustrie: Dass es sie braucht, würden wohl nur überzeugte Pazifisten bestreiten wollen, doch unter Zynismus-Verdacht steht sie selbst dann, wenn die moralische Ausgangslage derart klar ist wie im laufendenKonflikt zwischen Russland und der Ukraine.
In Deutschland, wo in manchen Milieus alles Militärische noch immer unter Generalverdacht steht, gilt dies in besonderem Masse. Der Branche ist dies bewusst: Man sei kein Krisengewinnler, sondern ein Krisenhelfer, erklärt Armin Papperger, der CEO des grössten deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall, seit Beginn des Krieges immer wieder.
Profitiert hat sein Unternehmen gleichwohl: Rheinmetalls Börsenwert ist heute anderthalb mal so hoch wie vor dem russischen Einmarsch. Seither hat das Düsseldorfer Unternehmen 1200 neue Mitarbeiter eingestellt; derzeit beschäftigt Rheinmetall rund 30’000 Personen, die Hälfte davon in Deutschland. Mittelfristig rechnet der Konzern mit einem Umsatzwachstum von 15 bis 20 Prozent pro Jahr.
Die Bedeutung der Zulieferindustrie
Noch vor wenigen Jahren hatte die deutsche Rüstungsindustrie eher stagniert: 2020 beschäftigte sie laut einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft rund 55’000 Personen; das waren zwei Prozent weniger als fünf Jahre zuvor. Der Umsatz sank im selben Zeitraum von 11,69 Milliarden auf 11,28 Milliarden Euro.
Nun zeigt die Kurve bei den grossen Unternehmen deutlich nach oben: Neben Rheinmetall gilt dies auch für Hensoldt, einen Hersteller von Rüstungselektronik, und für Krauss-Maffei Wegmann, den Produzenten der Leopard-Kampfpanzer. Die Verteidigungssparte des deutsch-französischen Airbus-Konzerns will dieses Jahr allein in der Bundesrepublik 3500 neue Stellen schaffen.
Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut Siprikam die deutsche Rüstungsindustrie 2021 auf einen weltweiten Marktanteil von 1,6 Prozent. Verglichen mit den USA, die 51 Prozent erreichen, wirkt dies verschwindend gering. Rheinmetall, in Deutschland ein Gigant, liegt im globalen Vergleich gerade einmal auf Platz 31.
Allerdings wird der Eindruck durch die Tatsache verzerrt, dass die Zulieferindustrie in Deutschland grosse Bedeutung hat. Zahlreiche Teile, auch in nichtdeutschen Waffensystemen, stammen aus deutscher Produktion, etwa von mittelständischen Maschinenbauern, die oft nicht direkt der Waffenindustrie zugerechnet werden. Insgesamt, so schätzt der Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), hingen 135’000 Arbeitsplätze von der Rüstungsproduktion ab, wobei eine Wertschöpfung von 30 Milliarden Euro generiert werde. Das sei mehr als irgendwo sonst in Europa.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Höhenflug fortsetzt, ist hoch,zumal Deutschland sein lange vernachlässigtes Militär in den kommenden Jahren für 100 Milliarden Euro ertüchtigen will.Die Abhängigkeit von der Politik birgt allerdings auch Risiken: Vor einem Jahr kündigte der deutsche Kanzler Olaf Scholz noch an, bald «mehr als zwei Prozent» des Bruttoinlandprodukts für das Militär auszugeben. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar revidierte er dies bereits: Nun will er nur noch das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen.
Der deutsche Perfektionismus als Problem
Je länger der Krieg andauert und je müder das Publikum des Themas wird, desto mehr dürfte die Wahrscheinlichkeit wachsen, dass auch diese Absicht in Frage gestellt wird, auch wenn der Kanzler der Branche letzte Woche im Bundestag eine Art Garantie-Erklärung gab: Seine Regierung, so kündigte er an, wolle durch langfristige Verträge und Anzahlungen dafür sorgen, dass die Industrie ihre Kapazitäten erweitern könne.
ObschonScholz’ Rede von der «Zeitenwende»nun ein Jahr her ist, hat das Verteidigungsministerium der Industrie seither kaum Aufträge erteilt. Als Bremser gilt vor allem das Beschaffungsamt der Bundeswehr, wobei dort offenbar weniger Inkompetenz ein Problem darstellt als vielmehr ein ausgeprägter Hang zum Perfektionismus: Über «Goldrandforderungen» klagt Hans-Christoph Atzpodien, der Geschäftsführer des BDSV.
Militärisches Gerät, das die deutsche Industrie ins Ausland liefere, sei den Deutschen selbst oft nicht gut genug. Allerdings soll dieses Jahr endlich eine Reihe von Bestellungen erfolgen, unter anderem von Flugzeugen, Helikoptern, Fregatten und Schützenpanzern, vor allem aber von Munition, an der in der Bundeswehr ein grosser Mangel herrscht.