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Bis zu 200 Milliarden Franken: Russen horten deutlich mehr Gelder in Schweizer Banken als gedacht

Marcel Rohner, Präsident der Bankiervereinigung, spricht von 150 bis 200 Milliarden Franken und relativiert den ersten Verharmlosungsversuch von Finanzminister Ueli Maurer.

Die Risikoexposition des Schweizer Bankensektors gegenüber Russland ist offenbar grösser, als dies der Bundesrat am 28. Februar anlässlich der Übernahme der Sanktionsbestimmungen der EU zugeben wollte. Auf die Journalistenfrage, wie bedeutend die Gelder russischer Kunden für Schweizer Vermögensverwaltungsbranche seien, sagte Finanzminister Ueli Maurer auf der damaligen Pressekonferenz in Bern: «Sie figurieren unter ferner liefen.»

Über vier Prozent aller Vermögen ausländischer Kunden

Diese Aussage hat die Schweizerische Bankiervereinigungen an ihrer Jahrespressekonferenz am Dienstag in Zürich erstmals konkretisiert und damit indirekt auch relativiert. Tatsächlich gehe es um 150 Milliarden bis 200 Milliarden Franken, sagte Bankierpräsident Marcel Rohner auf Nachfrage von Medienvertretern.

Es handelt sich also um eine bedeutende Summe. Sie repräsentiert immerhin mehr als zwei Prozent aller von der Schweizerischen Nationalbank erfassten verwalteten Vermögen in der Schweiz. Am Gesamtbestand der in der Schweiz liegenden Vermögen ausländischer Kunden haben die Russengelder sogar einen Anteil von über vier Prozent.

Es gibt nicht nur Oligarchen

Nicht bekannt ist, welchen Anteil daran die russischen Oligarchen haben. Diese wurden von der EU im Februar auf die von der Schweiz vollumfänglich übernommene Sanktionsliste gesetzt und ihre Vermögen sind seither vollständig eingefroren.

Eine überschlagsmässige Schätzung durch Aggregation der kolportierten Vermögen sanktionierter Personen wie Alisher Usmanow, Gannadi Timtschenko oder Viktor Vekselberg, die mindestens teilweise in der Schweiz wohnhaft sind, lassen die Vermutung zu, dass der grösste Teil der Russen-Gelder in der Schweiz nicht von bekannten Oligarchen stammt.

Tausende reicher Russen verbringen Ferien in der Schweiz

Vielmehr dürfte ein grosser Teil der hiesigen Russen-Gelder aus dem Kreis einer Oberschicht stammen, die der Schweiz nicht zuletzt auch als Touristen regelmässig die Aufwartung macht. Immerhin verbuchte die Schweizer Hotellerie bis zur Pandemie rund 350’000 Übernachtungen von russischen Gästen – mehrheitlich im Luxussegment, wie man in einer Broschüre von Hotellerie Suisse aus dem Jahr 2019 nachlesen kann.

Historisch betrachtet ist der Erfolg der Schweizer Banken im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft quasi ein Nebenprodukt des Tourismus. «Die Reisenden kamen in Basel oder in Genf mit dem Zug über die Grenze, um in der Schweiz ihre Ferien zu verbringen und bei der Gelegenheit auch mit ihrem Privatbankier zu sprechen», schilderte der bekannte Zürcher Bankier Hans J. Bär vor 15 Jahren in seinen Memoiren den Aufschwung dieser Industrie, der sich durch die Entwicklung neuer Märkte wie Russland trotz internationaler Steuertransparenz und einer verstärkten Repatriierung von Kundenvermögen aus westeuropäischen Ländern weiter beschleunigen konnte.

Vermögen ab 100’000 Franken müssen bis zum 3. Juni gemeldet werden

Vor diesem Hintergrund könnten die scharfen Sanktionsmassnahmen des Westens gegen Russland und dessen vermögenden Bürgerinnen und Bürger den Schweizer Bankensektor noch teurer zu stehen kommen als dieser im Moment noch wahrhaben will. Seit der Totalrevision der Sanktionsverordnung vom 4. März treffen die Sanktionen nebst den namentlich bekannten Oligarchen auch russische Staatsbürger oder in Russland wohnhafte Personen, die ein Vermögen von mehr als 100’000 Franken auf einer Schweizer Bank deponiert haben.

Die Gelder bleiben für die Kontoinhaber zwar verfügbar, aber die Banken sind angehalten, die Bestände ihrer russischen Kunden (ohne Nennung des Begünstigten) bis zum 3. Juni dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zu melden. Was danach geschieht, ist nicht klar. Aber es ist offensichtlich, dass die EU im Bedarfsfall in der Lage sein will, auch die Vermögen einer breiteren russischen Elite blockieren zu können. Eine Kritik am Schweizer Sanktionsregime lässt sich Bankierpräsident Rohner nicht entlocken, trotz der potenziell nicht ganz so unerheblichen Folgen für den Schweizer Finanzplatz.

«Sanktionen zeigen, welche Werte in der Schweiz hochgehalten werden»

«Die Sanktionen sind ein politischer Entscheid und sie zeigen, welche Werte auch in der Schweiz hochgehalten werden», sagt Rohner. Vielleicht fällt den Schweizer Bankiers das Akzeptieren des Sanktionsregimes auch deshalb leichter, weil sich alle westlichen Finanzplätze daran halten. «Ich sehen keine plausible Begründung dafür, weshalb die Sanktionen die Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Finanzplatzes beeinträchtigen sollte», sagte Rohner.