Sanktionen gegen radikale Siedler: Paris und Berlin folgen den USA
Seit mehr als zwei Monaten sind alle Augen auf den Gaza-Krieg gerichtet. Doch auch das besetzte Westjordanland wurde in der Zeit zum Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern. Berichte über Gewalt israelischer Siedler gegen Palästinenser mehren sich. Die US-Regierung erliess als Reaktion Einreisebeschränkungen, die sich unter anderem gegen extremistische israelische Siedler richten. Frankreich und Deutschland sind dafür, die von den USA erlassenen Strafmassnahmen auch auf die Europäische Union auszuweiten.
Israel hat seit der Eroberung des Westjordanlands im Sechstagekrieg 1967 seine umstrittenen Siedlungen im Westjordanland systematisch ausgebaut. Die Zahl der Siedler in dem Gebiet, das zwischen dem israelischen Kernland und Jordanien liegt, ist inzwischen auf etwa eine halbe Million gestiegen. Einschliesslich Ost-Jerusalems sind es sogar 700 000. Die Siedler leben inmitten von rund drei Millionen Palästinensern. Die Vereinten Nationen haben diese Siedlungen als grosses Hindernis für eine Friedensregelung eingestuft, weil sie kaum noch ein zusammenhängendes Territorium für die Palästinenser bei einer möglichen Zeitstaatenlösung zulassen.
«Ein Beispielloses Mass an Gewalt»
US-Präsident Joe Biden sind die Siedlungen schon seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge. Die USA begründen ihre Strafmassnahmen nun mit einem «alarmierenden Anstieg an Gewalttaten» im Westjordanland. Dazu gehört nach Angaben des US-Aussenministeriums «ein beispielloses Mass an Gewalt durch extremistische israelische Siedler». Sie hätten es auf Palästinenser und deren Eigentum abgesehen und ganze Gemeinden vertrieben. Die Einreisebeschränkungen richten sich aber auch gegen palästinensische Extremisten, die Gewalttaten gegen Israelis verüben. Auf beiden Seiten können enge Familienangehörige ebenfalls davon betroffen sein.
Seit dem Massaker der Hamas an israelischen Zivilisten am 7. Oktober und darauffolgenden Angriffen Israels im Gazastreifen hat sich die angespannte Lage im Westjordanland und Ost-Jerusalem noch verschärft. Bei Konfrontationen mit israelischen Soldaten, aber auch Attacken von israelischen Siedlern, wurden seither nach Angaben des Gesundheitsministeriums 264 Palästinenser getötet. Seit Jahresbeginn starben im Westjordanland insgesamt bereits 460 Palästinenser bei israelischen Militäreinsätzen, Konfrontationen oder eigenen Anschlägen.
Rückhalt für Siedler in der Regierung
Seit Anfang Oktober mehren sich laut Medienberichten gewaltsame Übergriffe von Siedlern, die Palästinenser etwa an der Olivenernte hinderten. Ausserdem seien Hunderte Mitglieder palästinensischer Hirtengemeinden vertrieben worden. Das Gesundheitsministerium verzeichnete neun Todesfälle. Den israelischen Sicherheitsbehörden wird vorgeworfen, die Palästinenser nicht gegen Angriffe zu schützen. Es gebe selbst bei Todesfällen kaum Strafverfolgung. Siedlervertreter betonen, die überwiegende Mehrheit sei friedlich und halte sich an die Gesetze.
Seit dem 7. Oktober haben sich aber noch mehr Siedler bewaffnet und viele der Soldaten sind selbst Siedler. Rückhalt haben sie auch durch rechtsextreme Minister in der israelischen Regierung, die sich für eine Annexion des Westjordanlands durch Israel einsetzen.
Biden steht wegen Gaza-Kriegs unter Druck
Der Sprecher des US-Aussenministeriums kritisierte Israel für seinen Umgang mit dem Anstieg der Siedler-Gewalt. Man habe bisher «kein ausreichendes Mass an Massnahmen» gesehen, sagte Matthew Miller. Das sei ein Grund dafür, warum die US-Regierung nun reagiere. «Sowohl Israelis als auch Palästinenser verdienen eine Prespektive der Hoffnung, die frei von Gewalt, Einschüchterung und Drohungen ist», sagte er weiter. Zuvor hatte Aussenminister Antony Blinken Israel dazu aufgefordert, tätig zu werden und gewalttätige Siedler zur Verantwortung zu ziehen.
Dabei steht der US-Präsident Biden nach Beginn des Gaza-Kriegs auch innenpolitisch unter Druck. Kritik am Partner Israel wurde zuletzt häufig nur angedeutet und war bei Biden eher zwischen den Zeilen zu erkennen. Wenn die US-Regierung sich in den vergangenen Wochen öffentlich deutlich missbilligend äusserte, dann vor allem mit Blick auf extremistische Siedler. Bereits im Oktober machte Biden deutlich, dass die Gewalt von Siedlern gegen Palästinensern nur «Öl ins Feuer» giesse.
Paris zieht mit
Paris schliesst sich Washington an und spricht ebenfalls von Einreiseverboten gegen extremistische Siedler, aber auch das Einfrieren von Vermögenswerten. Laut Aussenministerium erwägt die Regierung in Paris Schritte auf nationaler und europäischer Ebene.
Als Land mit der höchsten Zahl von jüdischen Einwohnern und zugleich den meisten Muslimen in Europa steht Frankreich vor einem Spagat. Einerseits stellten sich Präsident Emmanuel Macron und die Regierung angesichts einer Welle von Antisemitismus im Land unmissverständlich an die Seite der jüdischen Bevölkerung. Andererseits gibt es unter den Einwohner mit Wurzeln in muslimischen Ländern viele, die das Schicksal der Palästinenser besonders aufwühlt. Diese dürften den Ruf nach Sanktionen gegen Siedler auch als Zeichen sehen, dass Paris die Belange der Palästinenser in dem Konflikt gleichermassen im Blick hat.
Deutschland befürchtet Flächenbrand in der Region
Aus Berlin sind ähnliche Stimmen zu hören. Deutschland begrüsse die Haltung der Vereinigten Staaten und die beschlossenen Massnahmen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. «Es ist aus unserer Sicht wichtig, diese Debatte auch auf europäischer Ebene voranzutreiben», ergänzte der Sprecher mit Blick auf ein Treffen der EU-Aussenminister am Montag. Dort werde sich die Bundesregierung aktiv einbringen. «Wir rufen Israel immer wieder dazu auf, Palästinenserinnen und Palästinenser vor den Aktivitäten extremistischer Siedler zu schützen», sagte er.
Bundesaussenministerin Annalena Baerbock fürchtet, dass eine Eskalation der Gewalt im Westjordanland die Gefahr eines Flächenbrandes in der Region erhöhen könnte – und das, obwohl Israels Nachbarländer in der Region dies eigentlich nicht wollten. Schon in der Vorgängerregierung hatte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Regierung Netanjahu mehr oder weniger offen dafür kritisiert, mit einer immer weiter vorangetriebenen Ausweitung von Siedlungen in dem Gebiet die Möglichkeiten für eine Zwei-Staaten-Lösung zu verringern. Baerbock dürfte dies ähnlich sehen. (dpa)