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Die Eltern zoffen sich im Wahlkampf, die Kinder feiern die Insta-Liebe: So hat man «Romeo und Julia» noch nicht gesehen

Vor Donald Trumps Wahl hätte Bonn Parks für das Schauspielhaus Zürich geschriebene «Romeo und Julia»-Adaption ein unideologischer kluger Kommentar auf die Spaltung der Gesellschaft sein können. Jetzt geht er ein wenig an der Realität vorbei.

Im Stück «Romeo und Julia» hauen zwei Familien verbal und physisch so lange aufeinander herum, bis ihr verliebter Nachwuchs den Freitod wählt. Hinweise auf die Gründe des Konflikts gibt es bei Shakespeare nicht. Klar ist nur: Die Familien Capulet und Montague haben ihre Feindbilder zementiert. Die Lager sind gemacht. Es regiert kompromisslos der Hass. Wem das nicht wenigstens ein bisschen bekannt vorkommt, muss in einer Rosa-Instagram-Blase leben – oder hinter dem Mond.

Die Geister, die man rief

Am Vortag des deutschen Wahlsonntags hat der deutsche Dramatiker Bonn Park auf der Zürcher Pfauen-Bühne seine eigene, hochaktuelle Lesart des Stoffes zur Uraufführung gebracht. Während eineinhalb Stunden verfolgen wir einen Wahlkampf zwischen den beiden verfeindeten Parteien, in dem die Alles-oder-nichts-Rhetorik von Trump, Milei, Weidel und Co ebenso gegenwärtig ist wie die Weltuntergangsstimmung von Bürgerinnen und Bürgern, die schon morgens beim ersten Cappuccino das Gefühl haben, dass es zu Ende geht mit ihnen und der Welt.

Parks Clou: Er schüttet über den Streit kübelweise zuckersüssen Italo-Synthie-Pop (Musik: Ben Roessler). In den Farben sorgloser Italianità rempeln sich die politischen Gegner Capulet (in Mokkabraun) und Montague (gekleidet in Zucker-Mandorle-Rosa) in Rede und Gegenrede in einem Talkshowduell an, werden in dieser musikalischen Hülle der Zuversicht zu überzeichneten, lächerlichen Comicfiguren.

Ein anonymer Chor aus Terroristen wirft derweil einen Brandsatz in die Häuser der Familien, die optisch an den Film «Barbie» erinnern. Geister, die von der scharfen Rhetorik geweckt wurden, treiben auf der Bühne die müden Politiker zum Weitermachen an und sehen dabei aus, als habe man sie aus einem Kinderstück abgeworben.

Nur Romeo – Maximilian Reichert als schnuckeliger Langhaar-Italiener – und Julia – Kathrin Angerer mit lächerlich hochtoupierten blonden Haaren – nutzen die Szenerie der bella Piazza, machen aus der Liebe genauso kompromisslos eine Insta-Love-Story wie ihre Eltern Schlagzeilen mit dem Hass.

Von der Realität überholt

Sie besingen die «amore», grauslich verstimmt, das Italienisch auf Touristen-Niveau, mit ganz viel Klischee, aber mit sehr, sehr viel Gefühl. Die politische Gesinnung flüstern sie sich ins Ohr («widerlich»). Aber man bleibt dabei: «Ti amo, ti amo, ti amo.» Und die Julia, die im Original-Shakespeare in der berühmten Balkon-Szene die Unbeständigkeit der Liebe bejammert, feiert sie bei Park für ihre Widersprüchlichkeit.

Vor einem halben Jahr, vor Trumps Wahl zum US-Präsidenten, hätte dieses Stück ein unideologischer kluger Kommentar auf die Spaltung der Gesellschaft sein können, der zu einem Perspektivenwechsel anregt, indem er sagt: Glaubt nicht, dass die Welt so schlecht ist, wie sie mit Worten gemacht wird. Inzwischen spielt sich der Hass aber nicht mehr nur rhetorisch ab. Mit der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump ist er eine sehr reale Bedrohung für die Demokratie geworden.

Auch deshalb wirkt dieser im Stück gefeierte Relativismus und die Hoffnung, dass Serotonin, Phenylethylamin, Dopamin und Oxytocin die Menschheit irgendwann wieder aneinanderbinden, etwas gar naiv.

Bei den politischen Lagern regiert der Hass: die Capulets (links) und die Montague’s (rechts).
Bild: Thomas Rabsch

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