Er war Schausteller in der fünften Generation: Dieser Aargauer führte ein Leben zwischen den Chilbis dieses Landes
Das Weihnachtskarussell auf dem Badener Bahnhofplatz war die letzten Wochen bei Familien mit kleinen Kindern sehr beliebt. Aber Otto Hunziker, der Mann, der das Weihnachts-, das Fliegerkarussell und andere Attraktionen während vieler Jahre betrieben hat, ist im vergangenen Sommer, am 26. Juni 2024, im Alter von 93 Jahren in Baden verstorben.
Im September hielten Zirkuspfarrer Ernst Heller und Zirkusseelsorger Adrian Bolzen in der Stadtkirche in Baden im Kreise der Familie und Schaustellerfreunde den Abschiedsgottesdienst. Otto Hunziker verabschiedete sich in einem Brief von Familie und Freunden.
Eingeladen hatte er sie zu einer letzten, symbolischen Karussellfahrt, in der er sein Leben Revue passieren liess: eine Kindheit, die ihn von Chilbi zu Chilbi führte, die von harter Arbeit und einem guten Zusammenhalt in der Familie und unter den Schaustellern geprägt war. Ein Leben vergleichbar mit einer Fahrt auf einer Achterbahn, in dem Otto Hunziker trotz mehrerer Schicksalsschläge den Humor nie verlor.
Im Winterquartier der Schausteller und Artisten
Dieter Saxer, Filmemacher und Inhaber von Cineloft aus Zürich, undAndy Gottstein, Wirt des Rhy-Bistros in Etzgen, haben in den Jahren vor Hunzikers Tod mehrere Filme über ihn gedreht, die auf der Plattform Youtube zu sehen sind. Damals verkaufte der Schausteller noch regelmässig Billette beim Karussell auf dem Badener Bahnhofplatz. Zu den Filmen gehören «Schausteller Otto Hunziker erzählt aus seinem Leben» (2020), «Otto’s Pilzkarussell» (2021) und «Otto spielt auf seiner Papierrollen-Orgel» (2022) und andere.
Hunziker wurde 1931 in Aarau geboren als fünfte Generation einer Aargauer Schaustellerfamilie. Die kalte Jahreszeit verbrachte die Familie im Zürcher Winterquartier der Schausteller und Artisten – in der Hardau im Kreis 4. «Heute stehen dort Hochhäuser», erzählt Otto Hunziker im Film. Mindestens 50 Schausteller- und Artistenfamilien lebten dort.
Im Sommer zog die Familie von Chilbi zu Chilbi, und die Kinder reisten von Schule zu Schule. Pro Jahr konnten dies bis zu 50 verschiedene Schulen sein. So ging es allen Schaustellerkindern, denn eine Schulpflicht bestand auch für sie. Hunziker berichtet auch, wie sie 1947 an der ersten Badenfahrt nach dem Krieg teilnahmen.
Auch Bahnen kommen und gehen
1954 zog Hunziker mit seiner Frau Gertrud nach Baden, wo ihre Kinder zur Welt kamen. Erst arbeiteten sie im Betrieb der Eltern, 1956 gründeten sie mit einem Kettenflieger und einer Schiessbude eine eigene Firma. Neue Bahnen wurden gekauft, andere verkauft. Die Bahnen wurden nach Bedarf von Schaustellerfamilie zu Schaustellerfamilie weitergereicht.
1971 kaufte Hunziker mit zwei weiteren Personen die berühmte Figur-Achterbahn, die die Schaustellerin Marguerite Weidauer-Wallenda 1920 bei der Firma Mack, der Besitzerin des Europaparks, in Auftrag gegeben hatte und die ein Jahr später in Betrieb genommen wurde. Es war die erste Achterbahn der Schweiz und kostete damals bereits 180’000 Franken.
Weidauer-Wallenda wurde auch «Königin der Schausteller» genannt. Der Transport und der Aufbau der Achterbahn waren eine Herkulesarbeit – gefährlich und kräfteraubend. Hunziker beschreibt, wie sie den Koloss jeweils mit sechs Traktoren zu einem neuen Standplatz transportierten. Bei einer Badenfahrt musste die Stadt sogar einen Baum fällen, damit die Bahn Platz hatte.
In den letzten Jahren hat Familie Hunziker ihren Betrieb verkleinert. Das Weihnachtskarussell, das über die Weihnachtszeit in Baden steht, wird von der Enkelin Sheila Jeckle weiterbetrieben. Aber auch Tochter Rita Hunziker Schürmann und ihr Mann Alfred Schürmann, die ihr Winterlager in Etzgen im Fricktal haben, sind noch mit kleineren Bahnen unterwegs – das Schaustellerleben können sie nicht so leicht aufgeben.