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Olympiasiegerin Nina Christen: «Rücktritt? Könnte sein, ja»

Die Olympia-Enttäuschung ist abgehakt, Nina Christen hebt mit dem Helikopter ab. Wo die dreissigjährige Sportschützin aus Nidwalden landen wird, ist offen.

Wir treffen uns in der Schützenstube an der Engelberger Aa, der idyllisch gelegenen Heimat ihres Stammklubs, der Schützengesellschaft Büren-Oberdorf. «Ich war an vielen Orten der Welt, doch ich fühle mich als Nidwaldnerin und werde immer eine sein», sagt Nina Christen. Mittlerweile wohnt sie mit ihrem Freund in Immensee im Kanton Schwyz, dort und bei ihren Eltern in Wolfenschiessen verbringt sie die ersten Wochen der nacholympischen Zeit. «Zu Hause schläft man am besten, es geht mir ganz gut. Ich nehme viele Flugstunden, ich bin voll bei der Sache.» Dazu später mehr.

Am 26. Juli, 28. Juli und am 1. August stand die Sportschützin an den Olympischen Spielen im Einsatz. Zuerst trug sie gemeinsam mit dem Mountainbiker Nino Schurter an der Eröffnungsfeier die Schweizer Fahne, danach stand sie mit dem Luftgewehr (10 Meter) und im Dreistellungsmatch mit dem Kleinkalibergewehr (50 Meter) im Einsatz. Ersteres war ein unvergessliches Erlebnis: «Unter all den guten Sportlern ausgewählt zu werden, war eine riesige Ehre für mich und die gesamte Schweizer Schiesssportszene.»

Nicht in der Form von Tokio

Die Ergebnisse im Schiessstand fielen hernach bekanntlich nicht nach Wunsch aus. Christen verpasste in beiden Disziplinen den Final der besten acht klar, belegte die Plätze 23 und 21. Für die Dreissigjährige war dies freilich eine Enttäuschung, drei Jahre zuvor hatte sie in Tokio Gold (Kleinkaliber) und Bronze (Luftgewehr) gewonnen. «Sicher wäre ich gerne besser platziert gewesen. Allerdings wäre es enorm schwierig gewesen, ganz vorne mitzumischen. Das Niveau war sehr gut, man musste wirklich überzeugt sein von dem, was man macht.»

Rückblickend stellt Nina Christen fest, dass sie nicht in der Form von Tokio war. «Ich habe zwar alles versucht, um mich richtig gut vorzubereiten, trotzdem schaffte ich es nicht mehr auf das gleiche Level.» Die Gründe seien mannigfaltig, ebenso von aussen verursacht wie selbst verschuldet. «Dass der Verband vier Wochen vor Olympia entschied, dass ich mit einem anderen Trainer anreise, war zu kurzfristig, als dass ich in meiner Vorbereitung noch darauf hätte reagieren können.» Aufgrund limitierter Akkreditierungen musste ihr Trainer Torben Grimmel zu Hause bleiben.

Druck der Titelverteidigung wog schwer

Persönlich hält sie fest, dass ihr der Druck zu schaffen machte. «Es war heiss und windig, unter solch schwierigen Umständen ist es hilfreich, wenn man etwas unter dem Radar fliegen kann.» Als Olympiasiegerin hiess es aber: All eyes on you – alle Augen auf dich. Zusammenfassend hält Christen fest: «Am Tag X braucht es ein unglaublich hohes Selbstvertrauen und die mentale Fähigkeit, mit allem klarzukommen, egal was passiert. Gibt es nur einen Moment des Minizweifels, kostet dies ein Prozent und kann eine Kaskade auslösen.»

Im Gespräch entsteht der Eindruck, dass Nina Christen mit sich selbst im Reinen ist. Hatte sie nach Tokio Mühe, sich aufgrund der Erschöpfung und dem daraus resultierenden Tief über den Erfolg zu freuen, scheint sie sich nach dem sportlichen Rückschlag schneller zu erholen. «Es ist okay für mich, und es ist mega schön, dass meine Medaillen jeweils eine Schweizer Nachfolgerin erhalten haben.» Chiara Leone gewann Gold mit dem Kleinkaliber, ihre Zimmerkollegin Audrey Gogniat Bronze mit dem Luftgewehr. «Als ich mich mit ihnen freuen konnte, schloss sich ein Kreis.»

«Ich werde nur weitermachen, wenn …»

Ob sich im Leistungssport ein weiterer Kreis öffnet, ist unklar. Seit 2016 ist sie Profi und gewann neben Olympia auch Weltcup- und EM-Gold. «Bis Ende Oktober gebe ich mir Zeit und schaue, wie ich da noch reinpasse», sagt Christen, und auf die Frage, ob der Rücktritt eine Option sei, antwortet sie: «Ja, das könnte sein. Ich werde nur weitermachen, wenn ich nochmals alle Energie reinstecken kann. Und ich höre nur auf, wenn effektiv der richtige Zeitpunkt dazu gekommen ist.»

Vorderhand geniesst sie die freie Zeit, freut sich auf die Ferien mit ihrem Freund und legt ihren Fokus auf die Privatpilotenlizenz im Helikopter. Ab Pfaffnau oder Bern-Belp hebt sie mit ihrem Fluglehrer jeweils ab, rund 15 Flugstunden fehlen ihr noch bis zur praktischen Prüfung. «Es macht mega Spass. Das Schiessen ist derzeit im Hintergrund, und so habe ich viel Kapazität und sehe die Details.» Anders formuliert: Nina Christen hebt ab. Wo sie in Zukunft landen wird, ist offen.

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