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Die schnarchende Sau war auch schuld – warum wir in den Ferien meist schlechter schlafen als zu Hause

Die Ferien waren gut, aber die erste Nacht schlimm? Das sei unserem Steinzeit-Gehirn geschuldet, sagen Schlafforscher. Und doch: Fürs Zuhausebleiben ist das kein Argument.

Der erste Zug fährt morgens kurz nach fünf ab Le Sentier im Jura. Zehn Minuten später kommt er aus der Gegenrichtung. Ich weiss das, weil ich da in den Ferien war.

Kühe werden morgens kurz nach fünf von der Weide geholt. Vermutlich überall in der Schweiz, aber sicher im Kanton Freiburg oberhalb von Jaun. Ich weiss das, weil ich da in den Ferien war.

Morgens kurz nach fünf hat ein ander mal in diesen Ferien mein eigener Wecker geklingelt und der schlimmsten Nacht in einer Berghütte je gnädig ein Ende gemacht.

Keine Sorge, meine Sommerferien waren grossartig! Oder wie ist das: Zählen die Nächte dazu? In der letzten dieser Nächte jedenfalls kam ich ins Grübeln. Der Wecker des Senns hatte noch nicht geklingelt, die Kuhglocken waren noch nicht näher gekommen, die Melkmaschine surrte noch nicht und das Radio spielte noch keinen Ländler. Aber im Massenlager nebenan sprach eine Frau lautstark mit ihrem Sohn darüber, dass sie nicht schlafen könne. Ja, danke auch.

Ausgefallene Schlaforte sind nicht sehr erholsam

Für Ferien wird gerne überall mit den ausgefallensten Schlaforten geworben: Schlafen im Weinfass, Schlafen in den Baumwipfeln, in der Bergstation einer Seilbahn, im Kornfeld, im Iglu. Aber macht das die Ferien eigentlich nicht besonders unerholsam?

Ich suchte meine Stirnlampe, stieg die knarrende Treppe hinunter, öffnete den Riegel der Alphüttentür und ging zum WC. In der Spritzkanne, mit der man seine Hinterlassenschaft runterspülen sollte, war kein Wasser mehr. Der Brunnen eine Treppe weiter unten. Ich beschloss, nach Mitternacht kein vorbildlicher Mensch zu sein. Stattdessen stieg ich die Holztreppe hoch, knarr-knarr, und wühlte mich in den Schlafsack, raschel-raschel.

Natürlich hätten wir Hotelferien buchen können. Aber die Schlafforschung sagt: Das ist kein Garant für erholsames Auswärtsschlafen. Auswärtsschlafen gelingt den meisten Menschen überall schlechter. Zumindest in der ersten Nacht.Schon 1966zeigten das Psychologen mittels einer Elektroenzephalografie (EEG) und ist seither als der «Erste-Nacht-Effekt» bekannt: Die erste Nacht anderswo enthält mehr Wachphasen, weniger Schlaf mit schnellen Augenbewegungen und man braucht länger zum Einschlafen.

Freiburger Schlafforscher entlarven eine Fehlannahme

Nach Tests mit verschiedenen bildgebenden Verfahren haben US-Psychologen dann2016 in einer Studiegeschrieben, dass es die linke Hirnhälfte sei, die in neuer Umgebung wachsamer bleibe und auch heftiger auf neue äussere Reize reagiere. Wacht die linke Hirnhälfte also über uns – ähnlich den schlafenden Zugvögeln in der Luft? Diese schöne Vorstellung haben nun Anfang August ausgerechnet Schweizer Forscher begraben: Ineiner Studie der Uni Freiburgkonnte das Team um Erstautorin Anna Wick den Befund mit der linken, wacheren Hirnhälfte nicht bestätigen. «Schade eigentlich, das war eine interessante Theorie», sagt Studienleiter Björn Rasch.

Das Team fand zudem heraus, dass ein Teil des «Erste-Nacht-Effekts» in der Gewöhnung an die elektronische Überwachung der Schlafenden besteht: In ihrer Studie hatten die Teilnehmenden nämlich auch dann mehr Mühe, schnell ein- und durchzuschlafen, wenn sie zu Hause im Schlaf überwacht wurden.

In der zweiten, dritten und vierten Nacht zu Hause hatten sie sich dann daran gewöhnt und schliefen normal gut. «Der Effekt der ersten Nacht beim Auswärtsschlafen gibt es aber trotzdem, auch ohne Schlafüberwachung», sagt Rasch, «denn die Versuchsteilnehmer schliefen im Labor die erste Nacht auch dann schlechter, wenn sie sich zuvor zu Hause an die Geräte gewöhnt hatten.»

Anna Wick weist aber auch darauf hin, dass es nicht nur die ungewohnten Geräusche sein müssen, die den Schlaf in der ersten Nacht anderswo verschlechtern, auch der Tag, mit einer aufregenden oder stressigen Anreise kann da mitspielen.

Wir wachen pro Nacht laut Rasch 15- bis 25-mal auf, aber erinnern uns morgen nicht daran. Nur wenn in dem Moment etwas nicht stimmt oder anders ist, erwachen wir richtig. Der unruhige Schlaf in einer ungewohnten Umgebung ist also doch ein Stück weit ein Akt des Überlebens in einer möglicherweise gefährlichen neuen Umgebung. «Ein total sinnvoller, uralter Mechanismus», findet Rasch.

Björn Rasch, Professor für Kognitive Biopsychologie und Methoden an der Universität Fribourg.
Bild: Stéphane Schmutz

Zug, Gülle – die Störquellen sind beim Zelten vielfältig

Das Quietschen des Zuges im Jura war nicht bedrohlich, aber es war penetrant. Just auf der Höhe unserer Zelte passten offenbar die Räder nicht auf die Gleise. Und einmal düngte der Bauer die Wiese neben uns schon um halb acht. Solches war morgens ein Thema, wenn wir uns mit Kaffeetasse in der Hand in der Wiese stehend in die kleinen Augen schauten. Wobei die einen davon rein gar nichts mitbekommen hatten oder zumindest gleich wieder weggedöst waren.

Seit Jahren dennoch überzeugt, dass Zeltferien super Ferien sind, hatte ich mich langsam aufgerüstet: Zu den Ohropax kamen die Augenbinde und die zehn Zentimeter dicke Luftmatratze. Denn im Alter werden die Leichtschlafphasen länger und wir wachen häufiger auf. Exotische Schlaforte werden daher noch unbequemer.

Dessen waren sich auch zwei Paare in ihren 60ern bewusst, mit denen ich unfreiwillig diesen Sommer eine Nacht in einer Hütte verbrachte: Es war ein enger Schlafraum, wo in zwei Lagen übereinander je sieben Leute in Kopfkissenabstand schliefen. Es wurde nachts trotz offenem Fenster heiss und dann begann das Schnarchen. Der Schuldige lag auf dem Rücken und war weder durch Stirnlampenlicht mitten ins Gesicht noch durch Rütteln zum Drehen zu bewegen. Auch seine Frau und das befreundete Paar daneben schliefen selig weiter. Mir fiel ein: Beim Znacht hatten die vier darüber geredet, dass sie Tabletten einnehmen würden, um die Nacht zu überstehen.

Auswärts schlafen mit unlauteren Mitteln würde ich das nennen. Meine über die Jahre antrainierte nächtliche Gelassenheit bekam Risse, als die Uhr 2:30 anzeigte. Mit etwas Abstand betrachtet ist es meine erstaunlichste Leistung diesen Sommer: immerhin drei Stunden Schlaf zwischen zwölf wildfremden Körpern. Da war mir die schnarchende Sau irgendwie lieber gewesen, die durch den Bretterboden der Alp bis ins Zimmer hoch zu hören war.

Richtig leben an einem anderen Ort – darum geht’s

Ferienerlebnisse hören eben nachts nicht auf. Vielleicht ist auch das der Grund, warum dafür Werbung gemacht wird: Ferien am Tag, das kennen wir in allen Facetten. Und wie wir jetzt wissen, erleben wir die erste Nacht auswärts besonders intensiv.

Betrachten wir das Auswärtsschlafen also nicht als notwendiges Übel, sondern als das, was es ist: ein Abenteuer für sich. Kinder wissen das. Schon aufs Schlafen bei einem Gspänli können sie sich eine Woche im Voraus freuen und die Tage rückwärts zählen. Und auf die erste Nacht mit holperigem Schlaf folgt ja die nächste und dann haben wir – viel besser schlafend – erreicht, worum es bei den Ferien eben im Grunde geht: Leben an einem anderen Ort. Nicht einfach besuchen. Essen, schlafen, aufwachen. Wirklich ankommen.

Beruhigend zu wissen ist auch: Die wichtige Tiefschlafphase ist in der ersten unruhigen Nacht meist nicht gestört. Und noch einen Tipp hat der Schlafforscher: sich nicht ärgern, wenn man die ersten drei Ferientage besonders müde ist. «Gerade sehr tiefer Schlaf macht uns tagsüber tendenziell müder als sonst», sagt Björn Rasch. «Der Körper braucht eben ein paar Tage, um sich zu erholen.» Die Schlafstudien seien jedenfalls kein Argument, zu Hause zu bleiben: Wer in der ersten Nacht besonders schlecht schläft, sollte einfach länger als nur ein Wochenende verreisen oder auch mal Ferien am selben Ort wie letztes Jahr machen.

–Nehmen Sie das Zuhause-Gefühl an den neuen Ort mit: Das gelingt vielleicht mit dem eigenen Kopfkissen. Es kann aber auch gelingen, wenn Sie Ihr Einschlafritual beibehalten: eine Entspannungsübung am Bettrand, ein Kapitel aus einem Buch lesen, Tagebuch führen – was auch immer es ist.

–Akzeptieren Sie, dass die erste Nacht nicht grossartig sein wird. Wer sich nachts wach liegend ärgert, der schläft noch schwieriger wieder ein.

– Wenn Sie sich über Störquellen ärgern,entscheiden Sie, ob Sie sich ändern lassenund handeln Sie dann. Einen fremden Schnarcher darf man anstupsen oder auch mal andere freundlich auf die Nachtruhe hinweisen.

–Helfen Sie Ihrem Bewusstsein, sich abzukapseln. Viele mögen keine Ohrstöpsel, gerade weil man dann die hörbare Kontrolle über die Umgebung verliert. Doch gerade das bewusste Sich-die-Ohren-Wegstöpseln hilft beim Abschalten.

–Denken Sie sich schöne Geschichten aus– das ist die bewusste Vorstufe des Träumens. Gerade dann, wenn Sie nicht aus dem Grübeln über Probleme herauskommen: Spinnen Sie weiter, wie das Problem fantastisch gelöst wird und wie dann wundersam, abenteuerhaft oder heldenmässig alles gut würde.

– Glauben Sie daran, dass dasWiedereinschlafen auch in den frühen Morgenstundengelingt. Oft gibt man zu früh auf. Dabei kann das Einschlafen auch nach einer Stunde Wachliegen noch gelingen. Die zusätzliche Runde von vielleicht 7 bis 8 Uhr kann sehr erholsam sein.