Grüne Grossratspräsidentin Mirjam Kosch ist offener für andere Meinungen geworden
Ein Jahr lang hat die 39-jährige Energie- und Klimaökonomin aus Aarau die Sitzungen des Grossen Rats effizient und oft mit einer Prise Humor geleitet. Ab 2025 übernimmt die abtretende Grossratspräsidentin Mirjam Kosch das Fraktionspräsidium der Grünen von Robert Obrist, der bei den Wahlen im Herbst nicht mehr kandidierte.
Nach der 123. und letzten Ratssitzung der auslaufenden Amtsperiode verabschiedete Kosch am Dienstag Bildungsdirektor Alex Hürzeler (SVP), der nach sechzehn Jahren aus dem Regierungsrat ausscheidet, sowie 23 Grossratsmitglieder, die nicht mehr kandidierten oder die Wiederwahl verpassten.
Kosch liess die siebzig Meilensteine von Alex Hürzelers Regierungszeit von einer künstlichen Intelligenz zu einer unterhaltsamen Rede zusammenfassen, die sich wie ein Abenteuerroman liest: Vom anfänglichen Ruhe-ins-System-Bringen über Stürme der Sparmassnahmen bis hin zu den Herausforderungen durch Corona und den Ukraine-Krieg. Mit lang anhaltendenden Standing Ovations würdigten die Ratsmitglieder sein Schaffen.
Bildungsdirektor stimmt Volkslied an
Vor 10’094 Tagen sei er in diesem Saal vereidigt worden, blickte Hürzeler auf seine langjährige Politkarriere zurück. Er erwähnte dabei die Wichtigkeit der Digitalisierung, obwohl er selbst nicht auf soziale Kanäle setzte, was er bis heute nicht bereut habe. In Anspielung auf den Jugendchor Seetal, der im Saal auftrat, stimmte Hürzeler das Lied «Im Aargau sind zwoi Liebi» an und die Ratsmitglieder sangen mit.
Ab 2025 sitzt mit Martina Bircher eine Frau im Regierungsrat. Die Aarburger SVP-Politikerin wurde vereidigt, und die scheidende Grossratspräsidentin betonte: «Diverse Teams funktionieren bekanntlich besser.»
Mit vielen persönlichen Anekdoten überreichte Kosch den 23 Ratsmitgliedern zum Abschied eine Urkunde sowie ein Aargau-Tassli gefüllt mit Schoggistängeli. Von diesen waren Daniel Wehrli (SVP) aus Küttigen, Gertrud Häseli (Grüne) aus Wittnau und der frisch vereidigte SVP-Nationalrat Christian Glur aus Murgenthal die amtsältesten.
In ihrer Schlussrede blickte Mirjam Kosch auf ihr Amtsjahr als höchste Aargauerin zurück. Sie sei in dieser Zeit offener für andere Meinungen geworden und könne klarer zwischen der Position und der Person dahinter unterscheiden, habe die Erkenntnis ihres Partners Alexander Umbricht gelautet. Kosch war zuerst überrascht und gab ihm dann recht.
Von SVP und FDP stets herzlich empfangen
Für eine linke, urbane Akademikerin unter 40 habe der Kanton Aargau zahlreiche Möglichkeiten geboten, um in fremde Welten einzutauchen. Ihre Bilanz lautete: «Insgesamt war ich an rund 140 Anlässen und Terminen und habe zirka 55 Reden und Grussbotschaften gehalten.» Das Blaue Kreuz habe sie erstaunlicherweise nie eingeladen. Besonders dankte sie den vielen Mitgliedern der Fraktionen der SVP und der FDP – «ihr habt mich weit ausserhalb meiner eigenen Bubble überall herzlich empfangen».
Als Umweltnaturwissenschaftlerin wollte sie schon immer die Welt retten, aber sie lerne, «dass das nicht allein in meiner Hand liegt». Um sich für Demokratie und Freiheit zu engagieren, müsse man sich auf andere Meinungen einlassen. Kosch empfahl den Anwesenden: «Geht in den Mittagspausen auch mal mit einer anderen Fraktion essen. Und versucht euch so gut wie möglich in die Lage eurer politischen Gegner zu versetzen.» Sie nehme sich vor, für andere Meinungen offen zu bleiben, und sei gespannt, wie ihr das als Fraktionspräsidentin der Grünen gelinge.