Der maulgeigende Unternehmer mit dem feinen Musikgehör
Ruedi Frey hat ein feines Musikgehör. Ob er auch deshalb von der Violine auf die Mundharmonika gekommen, von der Geige auf die Maulgeige umgestiegen ist? Weil falsche Violinentöne die Grenzen des Erträglichen ritzen? Im Ernst: Auf die Mundharmonika kam er 1954 in Lausanne, als ihm, im Welschen in der KV-Ausbildung, im Krankenbett langweilig wurde und er eine Maulorgel erhielt. Der 86-Jährige greift sich sein Instrument und intoniert das Lied, das er sich damals beibrachte: «Mona Lisa».
Ruedi Frey bedauert eines: «Sein» Instrument wird an Musikschulen nicht unterrichtet. Dies im Gegensatz zu seiner Jugendzeit: Zurück in Schöftland nahm er Stunden bei Dora Stebler, bis sie gesagt habe: «Ich kann dir nichts mehr beibringen.» Kunststück, unterrichtete sie doch vor allem Blockflöte und Handharmonika. Ein wichtiger Begleiter wurde Hans Häfliger aus dem Ruedertal, der Ruedi Frey mit der Band The Hotchkiss 1957 zum ersten Auftritt im Saalbau-Aarau und einer Gage von fünf Franken verhalf. Ihn fasziniert der Klang des Instruments, den der Spielende selber formt, indem er mit der Luft variiert. Ein Ausschlag an den Lippen hätte für den Musiker beinahe das Aus bedeutet. Die Diagnose: Zöliakie. Das Positive: Dank Ernährungsanpassung kann er wieder spielen, der Müller, der kein Mehl mehr verträgt.
«Nach dem Üben bin ich jedes Mal aufgestellt.»
«Ich übe mindestens jeden Tag einmal eine Viertelstunde lang», sagt Ruedi Frey. Das sei, gerade im Alter, wichtig. Es gilt, den ersten Ton zu treffen; also müssen die Lippen sich am Instrument orientieren können. Da gibt’s keine Tasten oder Ventile, die einen bestimmten Ton produzieren. «Nach dem Üben bin ich jedes Mal aufgestellt: Der Tag ist gut.» Er, der 2005 seine Frau verlor, spricht von seinem Lebenselixier. Der Vater zweier Töchter wohnt jetzt zuoberst in einem Mehrfamilienhaus, mit Sicht auf Schöftland, auch auf seinen ehemaligen Arbeitsplatz, die Mühle, deren Turm vom Balkon aus in der Ferne zu sehen ist.
Bruder Jürg, kürzlich 88-jährig gestorben, war der Müller, Ruedi leitete bis zum Verkauf 2002 den Betrieb als Kaufmann. Natürlich sei er darauf angesprochen worden, ob das gehe, eine grosse Firma zu leiten und als Maulörgeler aufzutreten. Er war zudem Verwaltungsratspräsident der Bank Suhrental. Kreativ-musischer Ausgleich zum zahlenlastigen Arbeitsalltag. Die Auftritte führten ihn, meist im Trio, manchmal auch im Quintett, nicht nur auf lokale Bühnen bei Firmenjubiläen, Geburtstagsfeiern, Vereinsabenden, Banketten oder Konzerten.
Auftritte im Fernsehen und auf einem Kreuzfahrtschiff
1981 vertraten die New Harmonic Tramps die Schweiz an einem Konzert in den USA für Freys Idol Jerry Murad. Sie traten bei Sepp Trütsch (Fyraabig) und dem Trio Eugster (Istiige bitte) im Schweizer Fernsehen auf. Und an Silvester 1988 musizierten Ruedi Frey, Walter Nöthiger und Heinz Stampfli zusammen mit der Pepe Lienhard Band am Fernsehen: «Das Lied vom Tod». Gern erinnert er sich an das Engagement des Trios auf einer Kreuzfahrt vor zehn Jahren. «Ohne Musik wäre ich nie durch den Kanal von Korinth gekommen», sagt der Musiker.
«Wir machten nie den Clown oder schnitten Grimassen», sagt Ruedi Frey, «uns geht es um die Musik.» Unterhaltungsmusik. Aber Showelemente, und sei es in der Kleidung, gehören dazu, auf dass der Funke aufs Publikum überspringe, die Begeisterung anstecke. Rhythmus, Swing, stimmige Arrangements. Das Arrangieren ist bis heute Ruedi Freys Sache.
Er arrangiert immer noch neue Stücke
Ein Jahr Unterricht bei einem Jazzpianisten gab ihm das Rüstzeug für harmonische Arrangements, und im Gegensatz zu vielen Maulorgelspielern kann er auch Noten lesen, Partituren schreiben. So übt das Trio, heute in neuer Besetzung mit Ruedi Frey (Melodie), Walter Nöthiger (Rhythmus) und Bernd Schirner (Bass), unter dem Namen Tramps harmonicas, im Schnitt alle 14 Tage im Probelokal in Hirschthal. «Vor Auftritten proben wir etwas häufiger», lacht Ruedi Frey.
Er ist sich bewusst: Die Mundharmonika ist alles andere als das Instrument der Stunde. Eine neue Dora Stebler ist nicht in Sicht. Immerhin: Die Bluesharp gehört zum Blues und damit zur Rockmusik. Wer Ruedi Frey hören will, sei es auf der Chromonica oder auf der Bluesharp, gebe bei Youtube den Begriff «Lucky Tramps» ein. Oder man wende sich an Ruedi Frey in Schöftland: Seinem «musikalischen Rückblick auf 66 Jahre», einem Büchlein mit vielen Bildern und Anekdoten, nicht im Buchhandel erhältlich, liegt eine CD mit 17 Tondokumenten von 1958 (Schellack, man hörts) bis 2020 bei.