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Nervensäge in Bidens Auftrag: Scott Miller ist der auffälligste Diplomat der Schweiz

Er verschreckte das behäbige Bern mit einem Feuerwerk und den Schweizer Finanzplatz mit undiplomatischen Forderungen: US-Botschafter Scott Miller lässt es kurz vor den US-Wahlen nochmals knallen.

Am nächsten Tag berichtet der Lokalsender «Telebärn» darüber. Der Polizeidirektor muss sich erklären, und Hündeler beklagen sich über den Radau: Am Abend des 1. Juli 2022 steigt über Bern ein riesiges, minutenlanges Feuerwerk. Die Böller lassen die Scheiben zittern – und eine ganze Stadt fragt sich: Was ist da los?

Die kurze Antwort: Scott Miller ist da. Die etwas längere: Der neue, von Präsident Joe Biden entsandte Botschafter feiert im Garten seiner Residenz mit mehreren Hundert Gästen den Nationalfeiertag der USA — statt am 4. Juli schon am 1. Juli. Vielleicht stimmt die Erklärung, dass es besser passe, ein solches Fest am Freitagabend zu feiern statt am Montag.

Gut möglich aber, dass Botschafter Miller und sein Partner, der Milliardär Tim Gill, die Feier sehr bewusst auf den 1. Juli legten – auf den Tag, an dem in der Schweiz die Ehe für alle eingeführt wird. Denn Tim Gill und Scott Miller waren schon in den USA bekannte LGBT-Aktivisten. Zur «Schweizer Illustrierten», die über die Party berichtet, sagt Miller: «Ich freue mich sehr, dass ausgerechnet heute, am Tag unserer Feier, in der Schweiz die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt wird.»

Mit dem Spektakel katapultiert sich der damals 43-jährige ehemalige UBS-Banker und Betriebsökonom ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Es ist nur der erste von mehreren Knallern, die Miller in Bern zünden wird.

In der Schweiz angekommen ist er schon im Januar. Entsandt von Joe Biden, zum Dank, dass er mit seinem schwerreichen Ehemann dessen Wahlkampf grosszügig unterstützt hatte. Bern als Belohnung für Wahlkampfmillionen, das hat in der US-Politik Tradition. So war es auch bei Millers Vorgänger, Edward McMullen. McMullen war Unternehmer, Miller ist Aktivist. Beide hatten mit Diplomatie zuvor nichts zu tun gehabt.

Die Metapher des Lochs im Donut wird geboren

Bei Miller wird das rasch offensichtlich. Bloss einen Monat nach seiner Ankunft in Bern bricht in Russland der Krieg aus. Und ab da dauert es nicht mehr lange, bis sich Washington und Bern ins Gehege kommen. Es braucht einen Anruf des US-Aussenministeriums ins Aussendepartement in Bern, damit der Bundesrat die Russland-Sanktionen übernimmt.

Welche Rolle Miller in diesen Stunden spielt, ist nicht überliefert. Sicher ist: Mit dem Ausbruch des Krieges sind die Prioritäten für den US-Botschafter gesetzt. Anders als seine Vorgänger, die in freundlichen Interviews und mit geraunten Andeutungen die Hoffnung auf ein Freihandelsabkommen mit den USA am Köcheln hielten, setzt Miller ungemütliche Themen auf seine Traktandenliste: die Sanktions- und die Neutralitätspolitik. Schmerzpunkte der schweizerischen Innenpolitik.

«Neutralität kann nicht heissen, nirgends einzugreifen», sagt er im April 2022 in der «NZZ am Sonntag»: Mit der Übernahme der Sanktionen habe die Schweiz die Neutralität nicht aufgegeben, sondern «aktiv ausgelegt und einen Weg gefunden, für die Grundwerte einer Demokratie und für Menschenrechte einzustehen». Das tönt vergleichsweise freundlich, kommt aber im Land, das gerade eine heftige Debatte über Waffenlieferungen führt, schlecht an.

Miller lässt sich davon nicht beirren. Im Gegenteil, es folgt der nächste Knall. Es sei schön, habe die Schweiz russische Vermögen über 7,75 Milliarden Franken eingefroren, sagt er im März 2023 in einem bemerkenswerten Interview in der NZZ, sie könnte aber «50 bis 100 Milliarden zusätzlich» blockieren. Sanktionen seien «nur so stark wie der politische Wille dahinter». Mit anderen Worten: Die Schweiz tut zu wenig, weil sie nicht will. Und einmal in Fahrt, formuliert Miller jene Metapher, die heute zum Schweizer Politvokabular gehört: «Die Nato ist gewissermassen ein Donut – und die Schweiz das Loch in der Mitte.»

Spätestens jetzt ist allen klar: Miller ist nicht Diplomat, er ist Aktivist. In den Kommentarspalten steigt der Blutdruck auf Herzinfarkt-Niveau. Politiker fordern Aussenminister Cassis auf, den Amerikaner einzubestellen.

Der US-Botschafter selbst legt unbeeindruckt nach: In einem Brief mit den Botschaftern aus Japan, Kanada, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Italien, den G7, fordert er den Bundesrat auf, vertieft nach russischen Oligarchengeldern zu suchen und der dafür geschaffenen internationalen Taskforce beizutreten. Natürlich wird der Brief publik.

Jetzt geht es um die Reputation des schweizerischen Finanzplatzes. Bern reagiert: Die Schweiz erfülle ihre internationalen Pflichten, man verfolge die schwarzen Schafe konsequent. Die zuständige Behörde wird verstärkt, wie auch die Zusammenarbeit mit den G7. Zugleich bröckelt auf Schweizer Seite die diplomatische Zurückhaltung. Miller sei eine «Nervensäge». Es sei «mehr als fraglich», ob seine Aktionen mit Washington abgesprochen seien, heisst es hinter vorgehaltener Hand.

Es geht auch um die Konkurrenz der Finanzplätze

Erinnerungen werden wach: an das amerikanische Lobbying um die nachrichtenlosen Vermögen, die verlorene Schlacht ums Bankgeheimnis. Wie damals regt sich in bürgerlichen Kreisen der Widerstandsgeist. Man verweist auf die löchrigen Gesetze in Staaten wie Delaware, der Heimat von Präsident Biden. Auch dafür gibt es eine Metapher: «Wenn Miller mit dem Finger auf die Schweiz zeigt, zeigen drei Finger auf ihn selbst.» Wir nicht, die andern auch – es geht um Standortpolitik.

Dabei sprechen die Kräfteverhältnisse freilich für den Amerikaner Miller. Dieser projiziert zwar am 1. August ein Schweizerkreuz an seine Botschaft. «Lassen Sie uns die reiche Geschichte und die solide Partnerschaft zwischen unseren Nationen würdigen», schreibt er dazu auf Instagram. Doch kurz vor den US-Wahlen lässt er es ein drittes Mal krachen.

Zwei Schweizer sollen Russen geholfen haben, US-Sanktionen zu umgehen. «Die Schweiz kann und muss mehr tun» und «Schlupflöcher in ihrer Gesetzgebung zur Bekämpfung der Geldwäsche schliessen», lässt Miller verlauten – während im Bundeshaus Parlamentarier genau darüber beraten. Es ist der letzte Böller des Feuerwerkers in der US-Residenz, bevor die Nachfolgerin oder der Nachfolger jenes Präsidenten gewählt wird, der ihn vor knapp drei Jahren nach Bern geschickt hat.