Sie sind hier: Home > Schweizer Armee > Was hätte den Kampfjet-Absturz verhindert? Angeklagter Fluglotse gibt eine unangenehme Antwort

Was hätte den Kampfjet-Absturz verhindert? Angeklagter Fluglotse gibt eine unangenehme Antwort

Ein Skyguide-Mitarbeiter will die Militärjustiz von seiner Unschuld überzeugen. Er erklärt seinen fatalen Funkspruch mit einem moralischen Dilemma.

Die Armee übernimmt für zwei Tage das Aargauer Obergericht. Uniformierte kontrollieren, wer hinein darf und wer nicht. Auch die Richterinnen und Richter tragen – wie es sich gehört – ihre Militäruniformen.

Vor dem Militärappellationsgericht sitzt ein Zivilist in einem blauen Anzug: ein 42-jähriger Mitarbeiter der Flugsicherungsfirma Skyguide. Er muss sich vor der Militärjustiz verantworten, weil er als Beauftragter der Armee am 29. August 2016 einen tödlichen Fehler begangen haben soll. Er funkte einem Kampfjetpiloten eine zu tiefe Höhenangabe. Deshalb sei dieser ins Sustenmassiv gekracht. Vor einem Jahr verurteilte ihn die erste Instanz deshalb wegen fahrlässiger Tötung.

Zwei F/A-18 starteten 2016 mit 15 Sekunden Abstand auf der Piste 10 in Meiringen Richtung Alpen. Der vordere Jet flog zu steil, der hintere zu flach. So brach die Radarverbindung zwischen ihnen mitten in der Wolkendecke ab.

Der Fluglotse sah in seinem Radarraum, wie sich zwei grüne Punkte auf dem Bildschirm annäherten. Der hintere Punkt bewegte sich zudem schneller als der vordere. Der Lotse darf den Kurs der Jets nicht beeinflussen, nur die Höhe. Deshalb wies er dem hinteren Jet eine tiefere Flughöhe zu. So wollte er eine Kollision in der Luft vermeiden. Aber er provozierte dadurch eine mit dem Boden.

Dem Angeklagten ist anzusehen, dass der Todesfall schwer auf ihm lastet. Sein Gesundheitszustand hat sich seit dem Schuldspruch vor einem Jahr verschlechtert. Die Fragen lassen ihn seit dem Unfall nicht mehr los.

Richter:In der ersten Einvernahme haben Sie Ihren Funkspruch als Versehen bezeichnet. Vor der Vorinstanz erklärten Sie aber, Sie hätten instinktiv richtig gehandelt. Warum?

Angeklagter:In den Einvernahmen wusste ich, dass der Pilot gestorben war. Es war wie eine persönliche Schutzbehauptung für mich selbst, damit ich damit umgehen konnte.

Hätten Sie die Piloten nicht nochmals fragen können, auf welcher Höhe sie sich befanden?

Das Problem war, dass sie aus meinem Bereich flogen. Ein Funkabbruch drohte. Die Übergabe an die Zentrale in Dübendorf war überfällig. Diese hat mit ihrem Radarsystem viel mehr Möglichkeiten. Sie hat eine 3D-Darstellung. Ich musste innert Sekunden entscheiden und hatte nur eine zweidimensionale Darstellung.

Gibt es technische Massnahmen, welche die Kollision hätten verhindern können?

Ein modernes Radar. Ich hätte dann ein 3D-Lagebild gehabt und hätte die Höhen der beiden Flugzeuge auf einen Blick gesehen. Dann hätte ich gewusst, dass sie vertikal genügend Abstand hatten und es gar nicht zu einem Problem kommen würde.

Das Radargerät Quadradar: Damit arbeitete der Fluglotse beim Unfall. Heute steht es im Fliegermuseum in Dübendorf.
Bild: Andreas Maurer

Was hätte der Pilot Ihrer Meinung nach tun müssen?

Das kann ich nicht sagen. Das vorgeschriebene Verfahren war einfach falsch. Es war ein Versagen des Verfahrens.

Was hat Sie am Urteil der ersten Instanz gestört?

Sie hat keine Lösung präsentiert, die alle dienstlichen Vorschriften berücksichtigt hätte.

Es gab für Sie keine richtige oder falsche Lösung?

Es gab nur falsche Lösungen. Ich habe die einzige, praktikable und gesetzlich richtige Lösung gewählt.

Es ist still im Gerichtssaal. Er ist bis auf den letzten Platz besetzt. Eine aviatische Gemeinschaft hat sich hier versammelt, um die Angeklagten zu unterstützen. In der hintersten Reihe sitzt das oberste Management von Skyguide. Die Firma bescheinigt ihrem Mitarbeiter in einem Gutachten, alle Vorschriften eingehalten zu haben.

Eine F/A-18 fliegt mit eingeschalteten Nachbrennern über der Schweiz.
Bild: Peter Lewis / VBS

Die erste Instanz hat den Piloten entlastet. Die Fragen des Gerichts deuten darauf hin, dass er erneut mit einem Freispruch rechnen kann. Die Richterinnen und Richter befragen ihn vor allem zur Rolle des Lotsen. Wie hätte er reagiert, wenn er eine zu tiefe Flughöhe erhalten hätte? Er schildert, wie es sich im Cockpit eines Jets anfühlt, der mit 600 Stundenkilometern durch die Wolken braust. Da sei es kaum möglich, Anweisungen zu hinterfragen.

Der uniformierte Militärpilot beschuldigt damit indirekt den Lotsen. Dieser hat an die Eigenverantwortung der Piloten appelliert. Das Gericht wird sein Urteil am Freitagnachmittag verkünden.