Martin R. Deans neuer Roman «Ein Stück Himmel» provoziert mit der These, Leben sei immer Behindertsein
«Ein Stück Himmel» gehört zu jener Sorte von Romanen, die man wahnsinnig gerne liest, weil sie klug sind, grosse, zeitlose wie gegenwärtige Themen anpacken und gleichzeitig mit Wucht und satten Dialogen erzählen. Nach der Lektüre kritisiert man ihn dennoch, weil er zu sehr ausgedacht wirkt. Martin R.Dean hat nämlich seine Figuren als extreme, ja fast schon unplausible Gegensatzpaare angelegt.
Der unstete, charismatische Künstler und Frauenheld Sam und der schüchterne, traurige Mediziner und Intellektuelle Florian sind Freunde. Beide werden ihren Vaterkomplex nicht los und waren mit Frauen zusammen, die das Gegenteil von ihnen sind: Der Künstler mit der durchorganisierten Bankerin, der Mediziner mit einer Esoterikerin.
Schmerzhaft-präziser Blick auf Querschnittlähmung
Die Gegensätze erlauben Dean, die lebensphilosophische These breit abzustützen: «Wer die Tiefe des Lebens erfahren will, der muss ein Handicap haben.» So sagt es einmal die robuste und einfühlsame Pflegerin Barbara zum lebensmüden Querschnittgelähmten Sam – und meint das nicht mal zynisch. Der Leser hat gemerkt: Mitgemeint ist vor allem dessen Freund Florian, der sich seiner Depression ergibt. Die Spannung ist jedenfalls garantiert in dieser Freundschaft, die in ihrer latenten Rivalität und Loyalität bis in die Kindheit zurückreicht, und bei diesen zwei Männern, die an ihrem Leben gescheitert sind.
Martin R. Dean wagt zudem einen schmerzhaft-präzisen Blick in die medizinischen und psychischen Konsequenzen einer Querschnittlähmung. Wenn etwa seine Pflegerin Sam zeigt, wie er selbst das Röhrchen des Blasenkatheters in seinen Penis einführt, zuckt man als Leser zusammen. Aber es ist auch eine literarische Spiegelung: Für Sam steht das schlaffe Glied für seine erschlaffte Kunst und Lebenslust: dreifache Impotenz, ihm unerträglich. Dass ein origineller Seelsorger dem Querschnittgelähmten Sam Buddha und Jesus als Vorbilder geschlechtsloser, also entmannter Männer, präsentiert, liest man dann doch als makabren Witz.
Überhaupt setzt Martin R.Dean Signale routiniert: «Du bist ein kalter Fisch», sagt Sam zum Jugendfreund Florian. Der innerlich taube Florian ist Anästhesist – das passt fast zu genau. Seit einem Einsatz für Médecins sans frontières und dem Besuch in einem KZ, in dem medizinische Menschenversuche gemacht wurden, sieht er seinen Beruf mit düsterem Blick – und scharfer Gegenwartskritik: völlig erschöpftes Personal in Spitälern, Ärzte als Gehilfen von gewinnsüchtigen Pharmafirmen.
Die Männer bleiben in der Jugend stecken
Ein blosser Thesenroman ist «Ein Stück Himmel» aber wirklich nicht. Für einmal darf man sogar die Floskel bedenkenlos benutzen: Dieser Roman packt einem gleich von Beginn weg. Denn Martin R.Dean macht in seinen ersten Sätzen klar, dass es hier um Leben und Tod geht. Im Flughafen sackt ein Mann bewusstlos zusammen und fällt direkt vor Florians Füsse. Dessen Herzmassage rettet diesem Max das Leben. Aber Florian, der Lebensretter, ist ein mürrischer Mediziner.
Der Pessimismus klebt an ihm wie der Schweiss an seinem Hemd, wenn er die Rettung gedanklich relativiert: «Vielleicht würde Max auf dem Nachhauseweg bei einem Verkehrsunfall sterben.» Als Held fühlt sich Florian definitiv nicht. Und Martin R.Dean bemüht sich gleich, ihn uns nicht zu sympathisch zu machen: Dean lässt Florian wenig originell über Basler Pharma und den Fitnesswahn ätzen.
Im Perspektivwechsel folgen wir mal Samuel, mal Florian, und der Dramatik des Schicksals entsprechend sitzt man gebannt auf der Achterbahnfahrt dieses querschnittgelähmten Künstlers und nicht weniger mit im Boot beim seelischen Tauchgang des Mediziners. Dass die Freunde wie in einem Roadmovie nach Portugal fahren, wo sie alten Wahrheiten ins Gesicht schauen müssen, ist etwas vorhersehbar. Nachdem Florian sagt: «Die Jugend ist ein schwieriges Land», folgt denn auch prompt und witzig männerverspottend die Replik einer Tramperin: «Ich habe das Gefühl, die meisten Männer bleiben für immer dort.»