Endo Anaconda: Diese Fussstapfen werden nicht gefüllt
Nun hat es ihn erwischt, den Endosaurus Rex. Nach einem lauten und launigen Leben ist Endo Anaconda für immer eingeschlafen. Oder wie es mit den Dinosauriern passiert: Ausgestorben. Er ist nicht mehr. Diese massiv gmögige Wucht ist still. Er war «der Letzte seiner Art», wie es in einem Nachruf heisst.
Endo Anaconda hatte keine Kanten, er hatte Furchen. Sein Leben war wie seine Musik frei von Durchschnittlichkeit. Es gab Abgründe und Höhen und Abgründe und Abgründe. Er durchschwamm sie, durchwatete sie, erklomm sie. Ihn zu erleben, war ein Erlebnis. Es schnaubte, stampfte und dampfte.
Kurzum: Endo Anaconda war alles das, was daheim über den Streamingdienst dann eher nicht aus den Boxen kommt. Er war auch darum ein Dinosaurier, weil seine Musik Aufmerksamkeit einforderte, die Texte zwischen Absurdität und Tiefsinn pendelten und auch mal Bosheiten rausgegurgelt wurden. In diesen glattpolierten Musikzeiten sind so keine Klickrekorde zu knacken. Ein Businessplan? Fehlanzeige im anacondschen Universum. Was da war, war da. Die Unstetheit war ein steter Begleiter.
Der kurzfristige Erfolg ist wichtiger
Bei allen Schwierigkeiten, die das mit sich bringt: Für spannende und innovative Musik ist dies ein guter Nährboden. Und daneben liegt bald die Einöde. Einen zweiten Endo gibt es in der Schweizer Musikszene nicht. Eben: der Letzte seiner Art. Die Frage, wer in seine Fussstapfen treten könnte, ist müssig: Sie werden nicht gefüllt werden.
Auch weil er unbeirrbar seinen Weg ging. Dort Abdrücke hinterliess, wo er sie hinterlassen wollte. Gerade in der jüngeren Schweizer Musik fehlen solche charmanten Sturböcke spätestens jetzt schmerzlich. Die immer kürzer werdende Aufmerksamkeitsdauer des Publikums schlägt sich in den Songs nieder. Sie werden zunehmend austauschbarer. Streamingoptimiert und befreit von jeglichen Störgeräuschen. Der kurzfristige Erfolg ist wichtiger als die langfristige Perspektive.
Natürlich: Es gibt sie schon, die kantigen Musikköpfinnen und Musikköpfe. Sie kommen aber der Populärkultur kaum mehr so nah, wie Stiller Has ihr gekommen sind. Der Dinosaurier war auch ein Leuchtturm. Sonst spült es allerlei Mundart-Mittelmässigkeiten an die Oberfläche, die uns nicht wehtun wollen. Trauffer, Kunz, Bligg und wie sie alle heissen. Mittelstandsmusik. Der Soundtrack fürs Einfamilienhaus mit akkurat geschnittenem Rasen und einer gut gefüllten Säule 3a. Die heile Welt duldet keine Wolken.
Die Musik musste raus
Endo Anaconda war anders. Extremer. Auch ein bisschen für uns alle, die im helvetischen Mittelmass gefangen sind. Er ging dorthin, wo es wehtut. Menschlich und musikalisch. Die Musik musste raus. Auch weil es am Schluss eine existenzielle Entscheidung war: Er brauchte die Musik zum Leben, sie ernährte ihn und seine Familie. Anaconda in einem Werbespot für Milchdrinks oder Autoscheibenbruchversicherungen wäre zwar reizvoll, aber gleichermassen undenkbar.
Bei all den Stolpersteinen in seinem Leben hatte der soeben Verstorbene einen grossen Vorteil gegenüber den nachfolgenden Generationen: Er begann mit der Musik, als sich die Musik noch lohnte. Mittlerweile sind Albenverkäufe erodiert, und die Einnahmen aus den Streamings sind auch nicht gross. Heute braucht es noch mehr Mut, nur auf die Karte Musik zu setzen. Das macht die Entscheidung, eine solide Anstellung aufzugeben, noch etwas schwieriger. Und wer von der Musik leben will, der sollte nicht zu scharfe Kanten haben (von Furchen sprechen wir schon gar nicht erst): Sonst gibt es keine lukrativen Gigs an Firmenanlässen.
Angst lähmt. Auch in der Kunst. Dabei müsste uns genau der Endosaurus Rex lehren, dass sich Mut auszahlen kann. Er wurde nicht trotz all der Kanten, sondern genau wegen dieser geliebt. Er spielte auch seine grössten Hits längst nicht immer an den Konzerten: Das hat aber auch niemand von ihm erwartet. Durch seinen Mut zur Unbequemlichkeit war er am Ende auch viel freier in seinen Entscheidungen.
Der eigene Weg lohnt sich
Der Berner Baze, für den Endo Anaconda an den Swiss Music Awards 2020 die Laudatio hielt, ist noch einer, der am nächsten an des Hasens Pfad kommt. Anaconda wünschte Baze auf dem «langen Marsch durch dieses Worst-Case-Szenario», dass er sich nicht vom «stromlinienförmigen Streamen» ableiten lasse solle. Er sei ein «Wahrheitsdichter», ein «poetischer Tumult», eine «wandelnde Blue-Note». All das hätte Baze wohl auch über Anaconda gesagt.
Endo Anacondas Rede bescherte einen rührenden Moment inmitten dieses überglamourösen Heiterkeitstrubels mit Danksagungen an Mamis und Labels. Und im Gegensatz zu den anderen Siegerinnen und Siegern des Abends ist das auch geblieben. Dinosaurier sterben vielleicht aus, aber wirken hoffentlich noch lange nach. Grosse Fussstapfen müssen gar nicht immer gefüllt werden. Sie können daran erinnern, dass es sich lohnt, einen eigenen Weg zu gehen. Auf ausgetrampelten Pfaden hinterlässt niemand einen bleibenden Abdruck.