SVP-Nationalrat Thomas Aeschi bezeichnet Nigerianer als Vergewaltiger – Grüne Politikerin entschuldigt sich
Es war ein ungeheuerlicher Satz und deshalb war klar, dass am Tag darauf eine Reaktion folgen musste. Allerdings war es nicht SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi, der nach seiner verbalen Entgleisung Asche auf sein Haupt streute und Besserung gelobte. Das mea culpa stammt von Grünen-Nationalratspräsidentin Irène Kälin, die sich beinahe entschuldigte, Aeschi nicht sofort gemassregelt zu haben. «Auch Präsidentinnen haben nur beschränkte Multitasking-Fähigkeiten. Im Nachhinein – jetzt wo ich die Aussage nochmals aufmerksam geschaut habe – ist der Fall völlig klar. Man hätte intervenieren müssen», schrieb sie auf Twitter. Nicht nur dort waren die Wogen hochgegangen, auch im Parlament war die Bestürzung gross – wenn auch nicht unmittelbar.
Was war geschehen? Am Mittwoch debattierte das Parlament in einer dringlichen Sitzung Fragen rund um die Ukraine-Krise. Der Bundesrat war darum bemüht, der Situation den nötigen Respekt entgegenzubringen – und erschien gleich mit einer Viererdelegation im Saal. Dort sagte der Fraktionspräsident der SVP dann: «Wir fordern Frau Bundesrätin Keller-Sutter auf, dieselben Fehler und Probleme, die mit den Balkan-Flüchtlingen begangen wurden, nicht zu wiederholen. Ausländer, welche in der Ukraine wohnen, aber eben nicht Ukrainer sind, sollen in ihr Heimatland zurückgehen. Es darf nicht sein, dass Nigerianer oder Iraker mit ukrainischen Pässen plötzlich 18-jährige Ukrainerinnen vergewaltigen!»
Später gab Aeschi an, sich auf einen Fall in Düsseldorf bezogen zu haben. Dort kam es mutmasslich zu einer Vergewaltigung einer Ukrainerin. Aeschi liess diesen Kontext weg, aber steht auch so im Rassismus-Verdacht: Schliesslich spricht er Ukrainern, die in der Ukraine wohnen und über einen ukrainischen Pass verfügen, das Recht ab, Ukrainer zu sein – sie sollen «in ihr Heimatland».
Der Saal schweigt – aus unterschiedlichen Gründen
Nach Aeschis Brandrede blieb eine unmittelbare Reaktion im Nationalratssaal aus. Parlamentarierinnen und Parlamentarier unterschiedlicher Couleur verurteilen zwar allesamt Aeschis Attacke. Für ihr Schweigen führen sie aber unterschiedliche Gründe an. «Ihm zuzuhören, fällt mir generell schwer», sagt Aline Trede, Fraktionspräsidentin der Grünen. Äusserungen aus der Vergangenheit hätten sie abgestumpft gegen derlei Tiraden. «Letztlich ist es genau das, was Aeschi will: Aufmerksamkeit.»
Mitte-Fraktionspräsident Philipp Matthias Bregy deutet das Schweigen anders. «Angesichts der katastrophalen Lage in der Ukraine übte sich das Parlament in Demut. Die meisten wollten sich zurückhalten», sagt er. Das hiesse aber nicht, dass man die «deplatzierte» Aussage Aeschis gutheisse.
Nordmann verlangt Entschuldigung
GLP-Vertreter Martin Bäumle war zu jenem Zeitpunkt nicht anwesend. Dennoch hat er mitbekommen, dass Aeschi «Mühe hatte, das Niveau zu halten». Eine spontane Reaktion hätte er aber auch nicht gut gefunden: «Ich kläre das mit ihm noch direkt», sagt Bäumle. Sein Pendant von der SP, Roger Nordmann, verlangt von Aeschi am Tag danach eine Entschuldigung. Gleichzeitig ärgert er sich auch: «Niemand hatte den Reflex, auf den Rassismus zu reagieren», sagt er.
Das ist allerdings nicht ganz einfach. Weil es sich gemäss Reglement bei der Ukraine-Diskussion um eine Fraktionsdebatte handelte, haben prinzipiell Fraktionssprecher das Wort. Hätte jemand sonst aus dem Saal auf Aeschi direkt reagieren wollen, hätte er das nur in Form einer Frage tun können – keine einfache Ausgangslage für eine inhaltliche Massregelung. Rechtlich muss Aeschi ohnehin nichts befürchten: Parlamentarierinnen und Parlamentarier stehen unter absoluter Immunität und können für ihre Äusserungen in den Räten und ihren Organen nicht belangt werden.