
Das Schweizer Freier-Forum: «Sie liess es über sich ergehen, bis ich fertig war»
«Der Service war sehr schwach, passiv und demonstrativ lustlos. Habs dann noch knapp geschafft in ihrer M***i abzuspritzen, nachdem sie mir on top noch gesagt hat, ich muss draussen abspritzen.» Das schreibt User Besamo. Online seit Januar 2012. Zuletzt online: April 2025. Beiträge: 262.
«Ich war aufgrund ihres Teeny-Looks angetan. […] Sie fragte ständig, ob ich schon gekommen bin. Alles tat ihr weh. Irgendwann habe ich ihre Beine auf meine Schulter gepackt, sie an den Schultern festgehalten und tief reingehämmert bis die S***e kam. Die Kleine verzerrte ihr Gesicht und liess es über sich ergehen, bis ich fertig war.» Das schreibt AnalMaster23, Online seit Juni 2018. Zuletzt online: April 2025. Beiträge: 96.
Das sind nur zwei Beiträge von 235’627. Nur zwei User von 77’425. Zwei mutmassliche Straftaten, von wer weiss, wie vielen.

Bild: Screenshot
All das passiert auf der frei zugänglichen Internetseite AO-Forum.to, die seit 2007 online ist. Hier tauschen sich Schweizer Freier über Sexarbeiterinnen aus, bewerten sie, benutzen und brechen sie. Zwischen 400 und 500 Männer sind ständig online, wie das AO-Forum selbst ausweist. Männer, die «alles ohne machen» wollen. Das heisst nicht nur ohne Kondom. Sondern: Ohne Schutz, ohne Kontrolle, ohne Respekt.
«Es geht um Entmenschlichung»
Watson hat mit einer Sexarbeiterin über die Freier-Foren gesprochen. Melanie* ist 34 Jahre alt, ausgebildete Hotelfachfrau – und seit vier Jahren Sexarbeiterin. In der Pandemie sei sie eingestiegen – aus finanzieller Not in der Gastro. Heute arbeitet sie selbstständig, inseriert online, wählt ihre Kunden bewusst aus. Sie sagt: «Wer direkt nach ‹alles ohne› fragt, blockiere ich sofort.»
Freier-Foren wie AO kennt Melanie. «Wenn du dir als Sexarbeiterin den Tag versauen willst, musst du nur zwei Minuten auf diesen Seiten verbringen.» Viele Männer dort, sagt sie, kämen aber gar nie. Diese würden nur schreiben, um sich selbst «aufzugeilen». Melanie weiss: «Es geht ihnen um Macht, um Entmenschlichung. Nicht um Sex.»
Trotzdem bereiten diese Foren Melanie Sorgen. Sie, die fliessend Deutsch spreche, ein Studium begonnen habe und ihre Rechte kenne, könne sich gegen solche Männer wehren. Andere Frauen, die nicht freiwillig Sexarbeiterinnen sind, nicht. Wer keine Aufenthaltsbewilligung habe, keine Polizei rufen könne, sei den Männern ausgeliefert. «Und genau das nutzen gewisse Männer aus.»
Dabei gäbe es auch andere: Stammkunden, respektvolle Freier, Männer, die zuhörten. «Aber die schreiben keine Bewertungen.» Dennoch fordert Melanie mehr Rechte für Sexarbeiterinnen – und konkrete Hilfe für Frauen ohne gesicherten Aufenthalt. «Wir müssen helfen. Und zwar nicht, indem wir Sexarbeit illegalisieren, sondern indem wir sie sicher machen.»
Die Straftat als Triumph feiern
Ein besonders verstörender Beitrag auf dem AO-Forum stammt vom User Direkt77*, der im Dezember 2024 über eine Begegnung mit einer «Tschechischen» Sexarbeiterin in der Zentralschweiz schreibt. Der Mann schildert detailliert, wie er gegen den ausdrücklichen Willen der Frau ohne Kondom in sie eindringt – und stellt das als Triumph dar: «Sie hat gesagt, nicht ohne Kondom. […] Aber hab dann wie immer Pu***sliding gemacht, doch dieses eine Mal hat sie es nicht kontrolliert und ich hab, nur langsam, mein Glied tiefer rein bugsiert, bis ich irgendwann […] Hab ihr dann tief drin die ganze Ladung reingespritzt.»
Als die Frau realisierte, was passiert sei, habe sie ihn beschimpft, dass er sie «hintergangen habe». Der Freier reagiert jedoch nicht mit Einsicht über seine begangene Straftat, sondern mit Spott. So schreibt er weiter: «Ich war baff! Spielte sie das oder war das echt? […] Vielleicht lässt sie sich bei euch schon früher AO vögeln.»
Er endet seinen Beitrag mit einer Wegbeschreibung zur Wohnung der Frau, einem abwertenden Kommentar über ihren Körper – und veröffentlicht ihre Handynummer. Watson hat die beschriebene Frau kontaktiert. Wir nennen sie Danija*. Sie sagt nur: «Natürlich kenne ich diese Foren.» Sie arbeite seit 20 Jahren im Gewerbe, da wisse man, was dort geschrieben werde. Auf den konkreten Beitrag angesprochen, reagiert sie angespannt: «Ich will dazu nichts sagen». Dann legt sie auf mit den Worten: «Ich kann mich selbst wehren.»
Von der Online-Fantasie in die Realität
Wulf Rössler, emeritierter Professor für Psychiatrie an der Universität Zürich, warnt: «Was wir in diesen Foren sehen, ist psychologische Entmenschlichung. Die Frau wird dort auf ein Objekt reduziert, das man benutzt, bewertet, wegwirft. Das ist kein Austausch, das ist Gewalt in Textform – und oft mit realen Konsequenzen verbunden für die Betroffenen.»
Besonders gefährlich sei die gruppendynamische Wirkung solcher Plattformen. «Männer, die solche Fantasien hegen, bekommen hier Applaus. Dadurch verschieben sich ihre Grenzen.» So entstehe ein sozialer Sog, der zu immer extremeren Praktiken dränge.

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Rössler sieht ähnliche Dynamiken wie bei Cybermobbing – «doch bei Sexarbeiterinnen kommt hinzu, dass die Gewalt nicht nur verbal bleibt – sondern sich im echten Leben fortsetzt.»
Was im Netz als Fantasie beginnt, kann auch in einem Wohnblock im Kanton Solothurn enden,wie eine frühere Reportage zeigt.
Rössler verweist zudem auf Studien, die ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen bei Sexarbeiterinnen belegen – vor allem, wenn sie Gewalt durch Freier erleben. Die Folgen: Depression, Angststörung, posttraumatische Belastungsstörung.
Laut einer internationalen Metaanalyse aus über 80 Studien, an der Wulf Rössler beteiligt war, leiden Sexarbeiterinnen deutlich häufiger unter Depressionen, Angststörungen und Traumafolgestörungen. Entscheidend ist, ob sie freiwillig arbeiten – Zwang und Abhängigkeit erhöhen das Risiko massiv. Auch illegale Arbeitsbedingungen, Gewalt durch Freier und Stigmatisierung sind entscheidende Faktoren. Besonders belastend sind Sprachbarrieren, Migration und Substanzkonsum. Nur 5 bis 8 Prozent der Befragten sagen, sie üben den Job gern aus.
Freier-Foren wie jenes, das watson untersucht hat, sind für Rössler «eine Parallelwelt der Machtausübung mit echten Opfern». Parallelwelten, welche die Gewalt durch Freier befeuern können. Er sagt: «Die Öffentlichkeit muss sich die Frage stellen, wie es sein kann, dass solche Plattformen seit Jahren existieren – ohne Konsequenzen.»
Polizei ermittelt bei Anzeige
Auch 2019 berichtete der «Beobachter» über ein fast identisches Forum: «Sexy-Tipp.to». Dieses ist noch grösser: 102’000 User verzeichnet die Plattform, über 470’000 Beiträge. Betrieben wird die Website über Panama, gehostet in Tonga – und somit unantastbar für Schweizer Behörden.
Watson hat die Cybercrime-Abteilung der Kantonspolizei Zürich kontaktiert, mit der Frage, ob solche Foren aktiv strafrechtlich geprüft und gescannt werden. Auf Anfrage teilt diese mit: «Inwiefern Einträge in Foren den Tatsachen entsprechen und allenfalls strafbar sein könnten, ist im Einzelfall durch die Strafuntersuchungsbehörde zu prüfen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich mutmassliche Opfer zu einer Anzeige bei der Polizei entscheiden.»
Die Kantonspolizei könne nur dann die «notwendigen Ermittlungen einleiten, wenn wir Kenntnis von einer Straftat haben».
Konkret: Wenn sich Betroffene nicht selbst melden – passiert nichts. Und so können sich die Freier in ihren «Täter-Foren» weiterhin frei bewegen.n
*(Namen von der Redaktion geändert)
Im Jahr 2024 wurden in der Schweiz 208 Menschen von der Fachstelle für Frauenmigration und Menschenhandel FIZ betreut. Die meisten von ihnen wurden zur Prostitution gezwungen. Neun waren minderjährig. «Ob es sich um einen neuen Trend handelt, ist noch unklar», sagt eine FIZ-Expertin zu «SRF». «Aber auffällig ist, dass die Nachfrage der Freier nach sehr jungen Frauen offensichtlich steigt.»