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«Dieser fremde Mann hat mich beim Joggen gefilmt»: Frau konfrontiert Spanner

Auf Instagram geht gerade ein Video viral, das zeigt, wie eine Frau einen Mann konfrontiert, der sie beim Joggen gefilmt hat. Als Betroffene hat man in so einem Fall rechtlich wenig in der Hand. Die auf sexualisierte Gewalt spezialisierte Autorin Miriam Suter ordnet ein.

«Sie haben mich soeben beim Joggen gefilmt», sagt Yanni Gentsch zu dem Mann, den sie jetzt mit ihrer Handykamera filmt. «Nein, habe ich nicht», sagt dieser und will sein Mobiltelefon in die Jackentasche schieben. «Doch, haben Sie, zeigen Sie mir, dass Sie es gelöscht haben, auch aus dem Gelöscht-Ordner.» Die junge Frau argumentiert, bis der Mann das Video tatsächlich gelöscht hat. Sie sagt, dass es für Frauen genau wegen solcher Männer wie ihm nicht toll sei auf dieser Welt. Nachdem er das Filmen anfänglich abgestritten hatte, sagt er zum Schluss: «Warum sind Sie so aggressiv, ich habe Ihnen nichts getan.» Und dann noch: «Wieso ziehen Sie sich denn so an?»

Das Video aus Köln geht, seit es am Sonntag auf Instagram publiziert wurde, viral. Es wurde bisher 384’000 Mal geliket und rund 23’000 Mal kommentiert. Auch Miriam Suter, die sich als Autorin auf sexualisierte Gewalt spezialisiert hat, hat das Video geteilt. Sie sagt: «In der Bubble, in welcher ich mich bewege, sind solche Vorfälle normal.» Jede Frau, die sie kenne, habe schon solche oder ähnliche Erfahrungen gemacht. Auf das Video haben sich bei ihr auch mehrere Frauen gemeldet und gesagt: Uns ist das auch passiert.

«Das Video überrascht mich nicht», sagt auch Franziska Saxler, Sozialpsychologin an der Universität Bern und Autorin des Buches «Er hat dich noch nicht mal angefasst». «Strassenbelästigung ist alltäglich – nahezu jede Frau hat sie erlebt.» Ob Hinterherpfeifen, Entblössung oder unerlaubte Aufnahmen, das Problem sei allgegenwärtig. Neu sei, dass es endlich thematisiert und problematisiert werde. «Es ist höchste Zeit, denn Belästigung im öffentlichen Raum hat schwerwiegende Folgen für Betroffene.»

Mit dem Thema des heimlichen Filmens sind auch viele Badeanstalten konfrontiert. In Frei- und Hallenbädern gilt deshalb in der Regel ein Handyverbot. Bestehe ein Verdacht auf unsittliche Fotografierabsichten, werde die entsprechende Person damit konfrontiert und allenfalls die Polizei zugezogen, sagte ein Bademeister aus Cham der Zuger Zeitung. Und das Bad spreche ein Hausverbot aus.

Schwierige Rechtslage

Gentsch hat den Mann nicht angezeigt. Er hatte keine Gelegenheit, das Video weiterzuschicken, auch nicht mehrfach, was eine Voraussetzung wäre, um sich strafbar zu machen. Gentsch hat aber der Polizei mitgeteilt, wie der Mann und sein Velo aussehen. Im Video auf Instagram ist sein Gesicht verpixelt.

Aber lässt sich rechtlich überhaupt mehr unternehmen? Diese Frage ist auch in der Schweiz aufgeworfen. Auch hier haben Frauen – sie sind von solchen Übergriffen hauptsächlich betroffen – in einem solchen Fall erst einmal wenige rechtliche Möglichkeiten. Zwar gibt es das Recht am eigenen Bild, aber dieses ist zivilrechtlich geregelt. Das heisst, Betroffene müssten selbst einen Prozess vor Bezirksgericht anstrengen. Solange nur das Zivilrecht betroffen ist, ist auch die Polizei nicht zuständig, das heisst, diese könnte den Mann nicht dazu zwingen, das Video zu löschen. Das wäre nur dann der Fall, wenn das Strafrecht tangiert wäre, etwa weil dem Mann Stalking oder eine nötigende Handlung nachgewiesen werden könnte.

Um Stalking handeln würde es sich, wenn sich das Verhalten wiederholen würde, sagt Gewaltexperte Dirk Baier. «Eine Straftat wäre, wenn das Video veröffentlicht würde, verbunden mit einer Beleidigung, Blossstellung oder Ähnlichem, was anscheinend auch noch nicht passiert ist.»

Für die Behörden ist es eine heikle Ausgangslage. Die Kantonspolizei Zürich bestätigt dieser Redaktion die relative Machtlosigkeit der Polizei in solchen Fällen und empfiehlt Betroffenen, Täter nicht zu konfrontieren und sich sicherheitshalber aus der Situation zu entfernen.

Dass rechtlich kaum etwas gegen solche Aufnahmen unternommen werden kann, ist für Autorin Miriam Suter nicht das Problem. Es sei wichtig, dass man im öffentlichen Raum filmen dürfe. Sonst hätte sich im beschriebenen Fall auch Gentsch strafbar gemacht.

Ein Filmverbot wäre eine Symptombekämpfung und würde nichts bringen, sagt Suter. «Männer tun das, weil sie es können. Nicht weil sie es dürfen. Sie machen es in der Annahme, dass sich die Frauen nicht wehren. Sie spüren, dass das nicht okay ist und dass sie es eigentlich nicht machen sollten.»

«Eine mega opferfeindliche Welt»

Was also kann man tun? «Man kann nichts tun», sagt Suter. Was sie am meisten stört, ist die Schuldumkehr, die sich in den Reaktionen auf solche Fälle oft einstellt. «Sogar wenn man mit Baggy-Hosen joggen würde – um dieses sexistische Argument zu übernehmen –, gäbe es noch einen Grund, der Frau die Schuld zuzuschieben. Wir leben in einer mega opferfeindlichen Welt.»

Gegenentwurf wäre eine Gesellschaft, die Opfer und Täter richtig benennt und eine soziale Kontrolle ausübt. «Gentsch beweist mit dem Video, dass die Scham die Seite wechseln muss, wie Gisèle Pelicot den Prozess gegen ihren Mann und Peiniger kommentierte», sagt Miriam Suter. Gentsch lebe das im Alltag, indem sie den Mann mit seiner Tat konfrontierte. «Es ist nicht sie, die sich wegen ihrer Jogginghose schämen muss, sondern der Mann, der ihr zwischen die Beine filmte.» Suter hofft, dass das Video andere dazu ermutige, sich zu wehren, sie sagt aber auch: «Es ist nicht Aufgabe der Belästigten, sich zu wehren, sondern die des Belästigers, damit aufzuhören.» Sie wünscht sich, dass auch Dritte eingreifen, wenn sie so etwas sehen, insbesondere Männer.