Die Schweiz plant ein Starlink im Weltall, doch Karin Keller-Sutter will Weltraum-Know-how verscherbeln
Der Eingangsbereich wirkt futurisch mit dem gelbgrünlichen Licht und den geschwungenen Formen der Sitzgruppe. Auch sind Modelle zu sehen von einer Ariane 6 und einer Rakete der United Launch Alliance.
Es ist kein gewöhnliches Unternehmen, das am Circle beim Flughafen Zürich seinen Hauptsitz hat. Sondern ein Schweizer Juwel der Weltraumfahrt. Sein Name – Beyond Gravity.
Beyond Gravity mit den 1800 Mitarbeitern und 14 Standorten in sieben Ländern gehört dem Bund und stellt Nutzlastverkleidungen für Trägerraketen her und Kernelemente für Satelliten. Hinter den Kulissen ist ein harter politischer Kampf um das Unternehmen entbrannt.
Finanzministerin Karin Keller-Sutter und der Bundesrat wollen es verkaufen. Die Sicherheitspolitische Kommission (SiK) des Nationalrats hingegen will den Verkauf stoppen. Am Montag entscheidet der Nationalrat über eine Kommissionsmotion, die einen Marschhalt fordert.
«Es stellt sich die Frage: Gibt man mit einem Verkauf von Beyond Gravity nicht Know-how aus der Hand, das in Zukunft von strategischer Bedeutung ist?», fragt Priska Seiler-Graf (SP), Präsidentin der Kommission.
Initiantin der Motion ist Nationalrätin Isabelle Chappuis (Mitte). «Beyond Gravity ist neben Airbus, Thales oder OHB einer der grössten Akteure der europäischen Raumfahrtindustrie», sagt sie. «Das Unternehmen hat eine strategische Dimension für die Sicherheit, das Innovationspotenzial und die industrielle Dynamik der Schweiz.»
Der Weltraum sei der «nächste Megatrend», betont Chappuis. Die Schweiz werde zwar in den nächsten zehn Jahren nicht auf den Mond fliegen. «Aber wir können in dieser Zeit ein Starlink-System im Weltall etablieren – eine Art Swiss-Stars-System.» Dafür spiele Beyond Gravity eine wichtige Rolle.
Vom Bundesbetrieb zum Start-up
André Wall, CEO von Beyond Gravity, ist auch CEO der Ruag International. Der Bundesrat hat die ehemalige Ruag aufgeteilt: Da ist einerseits der Rüstungskonzern Ruag MRO Holding, der eine zentrale Rolle für die Schweizer Armee spielt. Andererseits die Ruag International, die alle Bereiche umfasst, die der Bundesrat verkaufen will. Hierhin gehört die Beyond Gravity (früher Ruag Space).
Wall seufzt. Es sei «bedauerlich», dass es nun erneut zu einer Verzögerung komme, obwohl der Bundesrat den Verkaufsentscheid dreimal bestätigt habe, sagt er. «Die politische Diskussion um Beyond Gravity verunsichert unsere Kunden und Mitarbeitenden.»
Als Wall 2020 die Ruag International übernahm, schrieb sie 224 Millionen Verlust. Er baute sie vom Bundesbetrieb zum agilen Start-up um – mit neuem Namen.
Nun sei Beyond Gravity bereit für den Verkauf, sagt Wall: «Wir haben alle Kredite zurückbezahlt und alle Schulden abbezahlt. Mit der bevorstehenden Privatisierung von Beyond Gravity sind keine Spätfolgen oder Risiken verbunden, für die der Bund haftbar gemacht werden könnte.» Die Zeit dränge aber. Der Businessplan bis 2029 sehe 500 bis 600 Millionen Franken Investitionen vor.
Der politische Kampf wird mit harten Bandagen geführt. Finanzministerin Karin Keller-Sutter verteilte ein Argumentarium für den Verkauf an FDP-und SVP-Vertreter. Die SiK des Nationalrats wiederum weigerte sich, Wall anzuhören – weil er schon in der SiK Ständerat aufgetreten war.
Das Misstrauen der Politik gegenüber dem Management
Wall ist enttäuscht: «Wir hätten uns gewünscht, dass wir vorgängig angehört werden, bevor ein Entscheid mit solcher Tragweite für Unternehmen und Mitarbeitende gefällt wird.» Er gesteht aber eigene Fehler ein: «Vielleicht haben wir gegenüber der Politik zu wenig kommuniziert.»
Spürbar ist: In der SiK des Nationalrats herrscht grosses Misstrauen gegenüber dem Management von Beyond Gravity. «Mein Eindruck ist», sagt Nationalrätin Chappuis, «dass das Management, das praktisch ausschliesslich aus Ausländern besteht, ein grosses persönliches Interesse an einem Verkauf ins Ausland hat. Wir haben die Bestätigung, dass dieser Verkauf Auswirkungen auf die Boni des Managements hat.»
Wall dementiert das nicht. Wer von den Mitarbeitenden bis zum Verkauf bleibe, werde mit einem Anreizprogramm belohnt, sagt er. «Zudem gibt es ein Bonusprogramm für Mitarbeitende und Management, wenn das Unternehmen verkauft wird. Das zahlt der neue Eigentümer.»
Es gibt viele Weltraum-Bestrebungen und ein Grossprojekt
Recherchen zeigen: Auch das Verteidigungsdepartement (VBS) und die Armee sind gegen den Verkauf. Die Armee plant ein Kommando Weltraum und will ein Lagebild Weltraum publizieren. Darin geht es unter anderem um weltraumgestützte Kommunikation. Das Bundesamt für Rüstung Armasuisse wiederum arbeitet an einer Weltraum-Studie.
Eine wichtige Rolle in diesen Bemühungen spielt das neu geplante mobile breitbandige Sicherheitskommunikationssystem MSK. Es soll für 2,9 Milliarden Franken Polycom ersetzen, das Sicherheitsnetz von Behörden und Blaulicht-Organisationen. Das Vorhaben ist in der Vernehmlassung. Der erläuternde Bericht betont, MSK müsse die Bemühungen der Armee um eine Weltraumkommunikation und die Zusammenarbeit mit Satellitenanbietern integrieren.
Die Ruag MRO Holding hat sich mit einer brandneuen Hochglanzbroschüre in Stellung gebracht für die Führung bei der Entwicklung von MSK. Die Ruag schreibt, sie entwickle mit der Armee ein Satellitensystem als Ersatz für die terrestrischen Infrastrukturen von «Polycom».
All diese Pläne zeigen auf: Die Schweiz arbeitet auf ein eigenes Starlink-System hin. Insider sagen, dafür brauche es nicht Tausende von Satelliten wie bei den globalen Systemen von Elon Musk und Amazon. Mit maximal 40 Satelliten im Weltall werde die ganze Schweiz gut abgedeckt.
Insider sagen, angesichts dieser Pläne wäre es sinnvoll, wenn die Ruag MRO das Raumfahrtunternehmen Beyond Gravity kaufen würde. Darauf angesprochen heisst es bei der Ruag, man äussere sich «grundsätzlich nicht zu laufenden politischen Prozessen». Ein Dementi hört sich anders an.
CEO Wall seinerseits betont: «Beyond Gravity liefert Einzelprodukte für Trägerraketen und Satelliten. Aber wir sind sehr weit davon entfernt, ganze Raketen oder Satelliten zu produzieren.» Das Unternehmen verfüge auch nicht über sicherheitsrelevante Technologien oder Daten.
Was er damit meint: Sein Unternehmen sei nicht zentral für ein Schweizer Starlink.