Journalistinnen und Journalisten als Zielscheibe
Die Drohung war unverhüllt. Sollte der NZZ-Journalist in Russland einreisen, drohe ihm Verhaftung, Prozess und Freiheitsstrafe. Ausgesprochen hat sie der russische Botschafter. Es sei dies eine «neue Form der Eskalation», kommentiert Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider den Vorfall. Was ihn jedoch besonders gravierend mache: «Eine öffentlich ausgesprochene Drohung trifft nie nur den Bedrohten. Sondern immer auch alle anderen. All jene, die am gleichen Ort, im gleichen Feld, im gleichen Krieg versuchen, die Wahrheit zu finden und aufzuschreiben.»
Der Fall ist nicht repräsentativ für die Gefährdungslage schweizerischer Medienschaffender. Und verglichen mit Repressionen, mit denen Medienschaffende in vielen Ländern weltweit konfrontiert sind, beschäftigen wir uns hierzulande geradezu mit Luxusproblemen. Doch die von Baume-Schneider erwähnte Nachwirkung gilt ebenso für weit geringere Angriffe: Schon die Aussicht, in eine missliche Lage zu geraten, beeinträchtigt die Medienfreiheit – und sei es in der Form vorauseilender Selbstzensur.
Und solche Vorfälle gibt es nicht nur zuhauf, sondern partiell auch gehäuft. Es gibt Fussballreporter, die es nicht wagen, sich offen über die Fankurve zu äussern, weil sie fürchten, sonst auch körperlich angegangen zu werden. Es gibt Demo-Berichterstatter, die bei Ausschreitungen Gefahr laufen, sowohl von den Demonstrierenden als auch von der Polizei unsanft behandelt und an der Arbeit gehindert zu werden. Es sind dies offene Gefährdungen, die in an- und abschwellenden Phasen seit vielen Jahren bestehen.
Nicht minder bedrohlich können die Beschimpfungen wirken, die auf den sozialen Medien und deshalb erst seit einigen Jahren auf Journalistinnen und Journalisten einprasseln. Wer sich etwa erlaubt, sich kritisch über die Verschwörungsmythen eines Daniele Ganser zu äussern, der kann sich Schmähungen seiner Gefolgsleute vorweg gewiss sein. Soll er oder sie sich solches wirklich antun?
Die Medienbranche hat nun zusammen mit dem Bundesamt für Kommunikation einen «Aktionsplan zur Sicherheit von Medienschaffenden» vorgestellt. Der Anstoss kommt vom Europarat, in Auftrag gegeben hat sie die vormalige Medienministerin Simonetta Sommaruga (SP). Mit lauen Worten unterstützt sie nun der aktuelle Medienminister Albert Rösti (SVP): Es brauche keine neuen Gesetze, «aber ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung unabhängiger Medien».
Die Auflistung von drei «Aktionsfeldern» und neun «Massnahmen» mag das Mögliche sein, was ein solches Unterfangen zur «Sensibilisierung» zu leisten vermag. Hilfreich dürfte allerdings ein Perspektivenwechsel von den Opfern auf die Täter sein. Dazu gehören nicht bloss Pöbler mit zuweilen beschränktem Horizont, sondern vielfach Damen und Herrn im Anzug und einem akademischen Abschluss in Jurisprudenz.
Denn was zweifellos grassiert, ist die Androhung rechtlicher Schritte. Exemplarisch, was dieser Zeitung vergangene Woche widerfuhr: Weil die Ruag-Chefin beim Gegenlesen ihres Interviews zur Einsicht kam, dass dieses zwar korrekt wiedergab, was sie gesagt hatte, es sich für sie aber wohl nicht karrierefördernd auswirken wird, drohte sie per Anwalt rechtliche Schritte an, falls es publiziert wird.
Die Androhung von zivil- und strafrechtlichen Klagen – meist wegen angeblicher Ehrverletzung oder unlauterem Wettbewerb – zeigt immer Wirkung. Völlig egal, ob sie einen Kern Wahrheit enthalten oder ob sie reine Einschüchterung sind. Was die Medien noch lernen müssen, ist, konsequent transparent zu machen, wenn sie zur Zielscheibe geworden sind. So wie es diese Zeitung im Fall der Ruag-Chefin gemacht hat.