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«Phänomenal!» Altmeister Cuche über die nächsten Schweizer Festspiele – und was er von Odermatts Kritik an der Piste hält
Schweizer Dreifachsieg in Crans-Montana – da war doch was? 1987 ist das Podest der WM-Abfahrt mit Peter Müller (Erster), Pirmin Zurbriggen (Zweiter) und Karl Alpiger (Dritter) die Krönung unserer damaligen Übermacht im Ski-Weltcup. «Eine Schweizer Meisterleistung, die es so wohl nie mehr geben wird», sagte Müller am Tag der Rückkehr des Männer-Weltcups an den Walliser Nobelort.
Doch schon gleichentags ist Müllers Einschätzung widerlegt: 38 Jahre nach der WM 1987 nämlich wiederholt sich an gleicher Stelle die Geschichte. Schweiz vor Schweiz vor Schweiz. Franjo von Allmen vor Marco Odermatt vor Alexis Monney. Das Trio klassiert sich innerhalb von vier Zehntelsekunden, auf Rang 4 folgt mit doppelt so viel Rückstand der Österreicher Vincent Kriechmayr. Statt mit der ausländischen Konkurrenz messen sich die Schweizer einmal mehr nur mit sich selbst.
Mit dem 23-jährigen von Allmen sticht ausgerechnet (und schon wieder) der Jüngste heraus. Zur Einordnung seines raketenartigen Aufstiegs ein paar Fakten: Vor einem Jahr hatte der Berner Oberländer erst einen dritten Rang im Super-G im Repertoire, in den Disziplinenwertungen landete er vergangene Saison unter ferner liefen. Nun reiste er als frischgebackener Abfahrts-Weltmeister nach Crans-Montana und bestätigte WM-Gold mit dem ersten Weltcup-Sieg in der Königsdisziplin. Das wohl schönste Lob kommt von Grossmeister Odermatt: «Wenn er fehlerfrei runterkommst, ist Franjo in der Abfahrt momentan nicht zu schlagen. Er hat von uns allen den höchsten Grundspeed.»
Von Allmen, Odermatt, Monney. So lässt sich mit Blick auf die Rückkehr der WM nach Crans-Montana in zwei Jahren träumen. Zumindest altersmässig (das Trio ist dann 25, 29 und 27) spricht nichts gegen eine Wiederholung dieses Podests.
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Bild: Giovanni Auletta / AP
Findet auch Altmeister Didier Cuche (50). Der vierfache Gewinner der Abfahrts-Kristallkugel verfolgt zwischen Journalisten und Athleten, wie von Allmen ihn als bis dato letzten Schweizer Sieger in Crans-Montana (Super-G 2012) ablöst: «Die Jungs legen eine phänomenale Saison hin. Dass es direkt nach der WM in Saalbach so weitergeht, ist aussergewöhnlich.»
Im Gespräch mit «CH Media» erinnert sich Cuche, wie er als 13-Jähriger die Schweizer Dominanz an der WM 1987 verfolgte: «Vor dem Fernseher, die Rennbilder habe ich nur noch bruchstückhaft vor Augen. Meine Sympathien hatte damals Pirmin Zurbriggen». Als Sohn eines Wirte-Ehepaares sei es für einen skibegeisterten Buben eine lukrative Zeit gewesen sei: «Ich sammelte immer die Etiketten auf den Rivella-Fläschli, die man dann gegen Fanartikel eintauschen konnte. Die Euphorie wegen der Schweizer Erfolge war riesig.»
Kollektives Haareschneiden zu Cuches Aktivzeiten undenkbar
1987 noch als junger Fan, ist Cuche 38 Jahre später selber eine Schweizer Skilegende und wird als solche Zeuge des neuerlichen Dreifach-Triumphes. Er selber hat seinen Platz in den Geschichtsbüchern als einer der erfolgreichsten Fahrer unseres Landes auf sicher – doch der Neuenburger war Einzeltäter, nicht Teil eines Teams mit mehreren Siegfahrern. Bilder wie kürzlich an der WM in Saalbach, auf denen sich auch der fünftplatzierte Odermatt nach der Abfahrt die Haare abrasieren lässt und an der Medaillenfeier den Schweizer Kollegen zujubelt, waren zu Cuches Zeiten undenkbar.
Nicht, weil es zwischenmenschlich nicht gestimmt habe, sondern: «Es gab Jahre, in denen ich als einziger Schweizer regelmässig auf die vordersten Plätze reinfuhr. Wenn alle anderen Fahrer deines Teams nach dem Rennen unzufrieden sind, können sie sich auch nicht mit dir freuen. Im Skisport ist ein guter Spirit die Folge der Stärke mehrerer Einzelner.»
Die Formel aus Erfolg und guter Stimmung ist auch der Grund, warum Cuche kein Ende der Schweizer Dominanz sieht: «Wenn der Schneeball einmal ins Rollen gekommen ist, dann rollt er. Wer gewinnt, hat keine Zweifel, überlegt nicht viel, alles fällt leichter. Und das ist wiederum die beste Voraussetzung, um schnell Ski zu fahren. Aber: Um in diesen Flow zu kommen, brauchte es einen enormen Aufwand, vom Team dahinter genauso wie von den Fahrern.»
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Jean-Christophe Bott / KEYSTONE
Bleibt zum Schluss die Frage nach Cuches Einschätzung zum Aufreger-Thema in Crans-Montana. Nach den Trainings sparten die Topfahrer nicht mit Kritik. Für den Italiener Dominik Paris ist die Piste «Nationale» nicht WM-würdig. Marco Odermatt meinte: «Ich will nicht um den heissen Brei herumreden: Das ist die einfachste Abfahrt, die ich je gefahren bin.»
So gesehen widersprachen sich die Schweizer am Renntag dann gleich selber: Von Allmen, Odermatt, Monney – sie alle gelten als Fahrer mit brillanter Technik, die vor allem auf schwierigen Pisten zum Tragen kommt. Und dann deklassieren sie in Crans-Montana auf der «einfachsten Abfahrt» die Konkurrenz.
Das denkt Cuche über Odermatts Pistenkritik
Cuche sagt: «Ich respektiere die Aussagen der Athleten, vielleicht hätte ich mich zu meiner Aktivzeit ähnlich geäussert. Die Piste hier gehört sicher zu den einfacheren, aber die allermeisten WM-Abfahrten sind vom Schwierigkeitsgrad nicht vergleichbar mit Kitzbühel, Wengen, Bormio oder Beaver Creek. Diese Strecken sind einmalig und können nicht der Massstab sein. Ob es Crans-Montana wirklich so einfach ist? Ich weiss es nicht. Hier von oben bis unten keinen Fehler zu machen, ist auch eine Schwierigkeit.»
Und dann will Cuche noch etwas loswerden, das durchaus als Denkanstoss verstanden werden soll: «In den letzten Monaten hat sich ein Teil der Fahrer zu den vielen Stürzen geäussert und dabei die Präparierung der Pisten kritisiert. Und wenn dann für einmal eine Piste nicht die ganz grosse Show bietet, hört man, es sei zu einfach.» Die Wahrheit liege wohl wie so oft irgendwo in der Mitte.